Seit 1998 ist in Großbritannien und auch Nordirland die Todesstrafe offizielle abgeschafft. Jeder Mensch hat, nicht nur in GB, ein Recht auf Vergebung der Sünden zu Lebzeiten, eine zweite (oder weitere) Chance. Auch unverbesserlichste Charaktere. Und das ist gut so. - Sind Sie erst
Opfer eines Justizirrtums* geworden, wissen Sie dieses Schlupfloch für begnadete Kamele zu schätzen.
Allerdings, das ist die andere Seite der Medaille, macht das Gewähren dieser Chance ein unliebsames Wiedersehen mit problematischen Gewohnheitskandidaten kriminell seriellen Couleurs nach Verbüßung der Haftstrafe gelegentlich höchstwahrscheinlich. Zudem, wenn sich widersprechende bürokratische Formalia und psychiatrische Fachgepflogenheiten gegenseitig ausknocken.
Das kommt immer mal wieder vor und hinterlässt irreparable, traumatische Schäden bei den Opfern. Der Autor John Harvey spielt in seinem Krimi "Schrei nicht so laut" mit genau diesen Unwägbarkeiten. Wie die beteiligten und von den grausamen Umtrieben eines Shane Donald betroffenen Personen lässt Harvey den Leser nur mit Misstrauen die Entlassung dieses Mörders nach 13 Jahren Haft betrachten.
Und darum geht es: Shane Donald, der vor 14 Jahren gemeinsam mit Alan McKeiran junge Mädchen, zuletzt die 16-jährige Lucy Padmore, missbrauchte, tötete und quälte, kommt auf freien Fuß. Alarmiert ist mit Ex-Detective Inspector Frank Elder, der seinerzeit den Fall bearbeitete, auch Helen Blacklock, deren Tochter Susan damals verschwand und deren Verschwinden bisher unaufgeklärt blieb.
Der jetzige Pensionär Elder macht sich auf den Weg zum damaligen Tatort. In das Küstendorf Whitby, Cornwall. Während der privat ermittelnde Elder recht täppisch unprofessionell zur Sache geht und beträchtlichen Flurschaden anrichtet, begleitet der Leser den Bösewicht Donald auf seinem dornigen Weg in die neue Freiheit.
Und das ist eine der anrührenden Stärken des Krimis. Die Schilderung dieser von der Öffentlichkeit und seinen Verwandten verdammten, verlorenen Seele. Shane Donald, dem man - zurecht - alles zutraut, lernt auf seiner durch einen Bewährungshäftling erzwungenen Flucht ein junges Mädchen kennen und lieben. Auf einem Rummel. Anders als der Leser vertraut die naive Angel dem seltsamen Shane.
Die zerbrechliche Liebe der Beiden wird neben der Unberechenbarkeit Shanes plötzlich auch von neuen Verdächtigungen bedroht. - Emma Harrison, ein 16-jähriges Mädchen aus Beeston bei Nottingham, ist vermisst. - Und nachdem Emma Harrison tot am Strand von Whitby auftaucht, sorgt die Entführung der Tochter Kate des privat ermittelnden Frank Elder für einige spannende Beschleunigung.
Fazit: Atemberaubender Thriller jenseits aller gemütlichen Schwarz-Weiß-Malerei.
*Maischbergersche Talkshow zum Thema (kein Virus! realplayer oder windowsmedia-player können bedenkenlos geöffnet werden)