sitemap
Ukrainekrieg, was tun ... Kanzlei Hoenig
gitter
zur Startseite
Mitfahrgelegenheit, blablacar

aus dem moabiter kriminalgericht


Embargopolitik versus Exilrealität


von Barbara Keller

04. November 2005. Moabiter Kriminalgericht. 14. Große Strafkammer.
Der Iraker Kadim M. (48), in Bagdad ehemals Unternehmer in der Schuhbranche, kommt 1999 Asyl suchend nach Deutschland. Er arbeitet nach Bewilligung seines Asylantrages bei Reinigungsfirmen und als Parkwächter in Berlin. Um seine Familie, seine Frau und die vier Kinder, zu unterstützen und über Jordanien und Syrien nachzuholen, benötigt er einen Dazuverdienst. Kadim M. steigt als Nebenjob ins Geldtransfergeschäft ein und transferiert die als Unterstützung für Verwandte und Bekannte gedachten Privatgelder seiner Landsleute über Büros in Jordanien, später Australien in den Irak. Mit einer Provision von fünf Prozent. Ganz legal, wie er meint. Nur eines verschweigt er den Behörden, bei denen er seine Tätigkeit anmeldet - vielleicht unwissentlich: das Empfängerland der Transfers ist Irak, mit dem laut UN-Embargo jeder Handel untersagt ist.

Urteil vom 30.11.05

Am 2. August 1990 besetzen irakische Truppen Kuwait. Vier Tage später beschließt der UN-Sicherheitsrat ein Totalembargo gegen den Irak. Ziel des Embargos: Abzug der irakischen Truppen, Wiedereinsetzung der legitimen, kuwaitischen Regierung. Spätestens ein dreiviertel Jahr danach ist nach US-amerikanischem Eingreifen und der Annahme der UN-Resolution 686 (2.3.1991) durch den unterlegenen Irak kein Grund zur Aufrechterhaltung des Embargos mehr gegeben.

Auf Wunsch einer einzelnen Dame

Das Totalembargo aber, das vor allem die irakische Zivilbevölkerung hart trifft, besteht auf Wunsch der USA bis zum Sturz Saddam Husseins 2003 weiter. In den mehr als zehn Jahren Embargo leidet die irakische Bevölkerung zunehmend an Unterernährung, Arbeitslosigkeit, mangelhafter Versorgung mit Wasser, ungeklärten Abwasserverhältnissen, unzulängliche medizinische Versorgung, Mangel an Medikamenten, Niedergang des Schulsystems, wachsende Kriminalität. Besonders das Lebensmittelembargo macht dem Irak, der 70 bis 80 Prozent der Lebensmittel durch Einfuhren deckt, zu schaffen.

Weltweit melden sich Stimmen, die in den verheerenden Auswirkungen des Totalembargos auf die irakische Bevölkerung eine grobe Verletzung gegen das geltende Völkerrecht sehen. Anträge auf Humanitäre Hilfe haben es schwer, werden blockiert, verkompliziert oder auf die lange Bank geschoben. Die von der UNO initiierte Aktion 'Öl für Lebensmittel' ist seinerzeit nur ein Feigenblatt vor das kritisierte Embargo. (Zu den Schmiergeldpraktiken im Zusammenhang mit dem UN-Programm 'Öl für Lebensmittel' lesen Sie bitte: "Deutsche Firmen in Schmiergeldskandal verwickelt", Spiegel, 27.10.05) Als unzweifelhaft belegt gilt, dass die Sanktionen ursächlich für den Tod hunderttausender unschuldiger Zivilisten im Irak, darunter circa 500 000 Kinder, sind.

Vom Unternehmer zum Parkplatzwächter

Im März 1999 reist der Iraker Kadim M. aus Bagdad, verheiratet, vier Kinder, studiert in Verwaltungs- und Wirtschaftswesen, Asyl suchend in die BRD ein. Der ehemalige Schuhfabrikant, der sich politisch als unabhängig bezeichnet, wird nach eigenen Angaben wegen missliebiger Worte gegen den Diktator unter anderem mit Elektroschocks misshandelt. Nachdem sein Asylantrag in Berlin positiv beschieden ist, darf er eine Arbeit aufnehmen.

Kadim M. arbeitet zunächst im Adlon und Kempinski als Reinigungskraft, später als Parkplatzwächter. Weil er seine Familie im Irak unterstützen und sie über Jordanien und Syrien nachholen möchte, kommt er auf eine Geschäftsidee für einen Nebenjob, die dem Bedürfnis seiner im Exil lebenden Landsleute entgegenkommt und die sein guter Ruf ermöglicht: den Geldtransfer.

Er beantragt beim Berliner Finanzamt eine Steuernummer mit dem Betreff: "Beratung, Betreuung im Zahlungsverkehrsbereich im In- und Ausland zwischen Deutschland und den arabischen Ländern". Die erhält Kadim M. und lässt sich auch gleich beim Gewerbeamt registrieren. Anfangs sind es zwei Aufträge pro Woche. Gelder, die Exiliraker ihren Verwandten und Bekannten im Heimatland zukommen lassen wollen. Summen zwischen 25 und 3.300 Euro.

Humanitärer Zweck nicht beantragt

Weil weder die Post noch die Banken im Irak zuverlässig arbeiten, laufen die Transfers über Büros in Jordanien, um später in Bagdad in kleinen Läden, darunter Friseurläden, ausgezahlt zu werden. So sagt jedenfalls Kadim M. Innerhalb von zwei Jahren und vier Monaten gelangen auf diesem Weg rund 120.313 Euro in den Irak. Das macht für Kadim M., der in der Regel 5 % Provision nimmt, insgesamt 5.400 Euro Provision. Auf den Monat gerechnet: 180 Euro. - Steuern, die Provision für die Büros in Jordanien (1 bis 2 Prozent) und die Aufwandskosten nicht eingerechnet.

Der Fehler im Plan: Kadim M. verstößt gegen die UN-Resolution 661 (1990). In der heißt es unter anderem: "... beschließt, dass alle Staaten es unterlassen werden, ... Gelder an natürliche oder juristische Personen in Irak oder Kuwait zu überweisen, ausgenommen Zahlungen, die ausschließlich für rein medizinische oder humanitäre Zwecke bestimmt sind, sowie, in humanitären Fällen, Nahrungsmittel ..."

Jetzt muss sich Kadim M., derzeit in Untersuchungshaft, wegen des Verstoßes gegen das Außenwirtschafts- (AWG) sowie Kreditwesengesetz (KWS) verantworten. Kadim M. droht nach KWS, §54 (Verbotene Geschäfte, Handeln ohne Erlaubnis) eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und nach AWG §34, Absatz (4), eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, im minder schweren Fall eine Haftstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

Im Kreise guter Bekannter

Das Gericht und die Staatsanwaltschaft nehmen den Fall sehr ernst. Insbesondere die Staatsanwaltschaft möchte dem Angeklagten gern das Geständnis entlocken, er habe willentlich die Embargobestimmungen umgangen. Kadim M. aber beteuert: "Ich habe nicht gewusst, dass ich Gesetze übertrete." Er glaubte, seine Transfergeschäfte trügen "humanitären Charakter".

Völlige Verwirrung stiftet die Frage des Gerichts: "Herr M., Sie waren im Irak ein hochrangiger Offizier?" Darauf die nicht minder seltsame, mit Erheiterung gegebene Antwort des Angeklagten: "Ich war ein einfacher Soldat im Krieg gegen den Iran. Und wie das so ist. Dann kommt ein Streifen dazu, noch ein Streifen und noch einer." - Auf Nachfrage erfährt das Gericht jedoch: Kadim M. war nur Unteroffizier und wurde während des Kriegs zwangsrekrutiert.

Und dann präsentiert der Rechtsanwalt des Angeklagten, Uwe Scharnhorst, auch ein denkwürdiges Prominentenfoto: Kadim M. im Kreise irakischer Oppositioneller, darunter Iyad Allawi, der erste Übergangspremier Iraks nach der Machtübernahme durch die USA, im Hotel Adlon. - Der Oppositionellenstatus des Angeklagten zumindest dürfte damit weitgehend geklärt sein.


Urteil:
Zwei Jahre und acht Monate Haft wegen Verstoßes gegen das UN-Wirtschaftembargo.

Die Staatsanwältin zu dem harten Urteil: "Gesetze sind dazu da, dass sie eingehalten werden." Wohl wahr, wohl wahr. Warten wir nun die Klage gegen die Verantwortlichen der deutschen Industriebranche ab, die während des Embargos mit Saddam Hussein Geschäfte machten und den großen Diktator mit Schmiergeld ölten. - Und das aus keinem karitativen Zweck oder aus der Not heraus.

- Nach Revision wurde das Urteil im November 2006 bestätigt. -

nach oben



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




gitter


Rechtsanwalt Uwe Scharnhorst: "Mein Mandant hielt die Geldtransfers für legal."


Vom Regen in die Traufe. Die Ehefrau des Angeklagten. Seit 2002 mit den Kindern in Berlin.

Anzeige
Kanzlei Luft
In eigener Sache:
Barbara Keller, Sieht so eine Mörderin aus?
Kanzlei Hoenig Kanzlei Hoenig Ukraine Krieg, was tun ...