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aus dem moabiter kriminalgericht


Fantome, Enttarnungen, Häutungen


von Barbara Keller

24. Mai 2006. Kriminalgericht Moabit, 25. gr. Strafkammer
Seit dem 26.04.06 ist der Topagent a. D. Norbert Juretzko der Verletzung des Dienstgeheimnisses angeklagt. So lautet jedenfalls der Vorwurf seines ehemaligen Dienstherren BND und nun auch der Staatsanwaltschaft. In seinem Buch "Bedingt dienstbereit" soll Juretzko dienstinterne Informationen ausgeplaudert haben, die den BND gefährdeten, darunter solche zur Quelle "Rübezahl". - Wie jedoch die Enttarnung eines Agenten vor sich gehen soll, dessen Existenz der BND bestreitet, bleibt wohl ein großes Geheimnis des Nachrichtendienstes.
- zum Beitrag zur Prozesseröffnung am 26.04.06
Zur Rezension des strittigen Buches "Bedingt dienstbereit".

Der heute angeklagte Geheimdienstler Norbert Juretzko kam Ende der 90er Jahre einem Spion in den eigenen Reihen auf die Spur und erntete damit alles andere als Dank. Dringend verdächtig war nach dem Hinweis eines russischen Informanten und nach hausinternen Recherchen des BND der Direktor der Abteilung 5 (Beschaffung), Volker F.

In der autobiografischen Abrechnung mit seinem damaligen Dienstherrn schildert Norbert Juretzko einen weit weniger attraktiven BND, als der deutsche Spionagefilmfreund - zumindest während des Kistenflimmerns - von einem Geheimdienst erwartet und toleriert.

Es gibt ihn nicht

Aber ein Geheimdienstler, der "singt" ist wie ein Journalist, der keine Arbeit hat: es gibt ihn nicht. So überzog der BND den Zivilisten Norbert Juretzko zunächst erfolgreich mit einer Betrugsklage und dann, nachdem sein Buch "Bedingt dienstbereit" erschienen war, mit einer Klage wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses.

Doch selbst nach den Aussagen dreier BND-Mitarbeiter als entscheidende Zeugen der Anklage erscheint die Beweislage wenig überzeugend.

Wo tatsächlich eine konkrete Gefährdung durch "Bedingt dienstbereit" für den BND entstand, wie in der Anklageschrift beschrieben, ist bisher nicht zu erkennen. Weder sah sich der Geheimdienst gezwungen, Namensänderungen vorzunehmen, noch mussten angeblich geheime Standorte aufgegeben werden, erfährt man.

Gefährdung latent

Das bestätigt auch Dr. Melanie R., Referatsleiterin beim BND. Der zur Debatte stehende Dienstname "Schuhbeck" beispielsweise sei weniger durch die Publikation Juretzkos öffentlich geworden, als durch die jetzt notwendige Zeugenvernehmung des betreffenden Mitarbeiters.

Dr. R. bestätigt zudem, lediglich durch einen hausinternen Bericht über den Fall Juretzko unterrichtet zu sein. Als dessen Verfasser gilt Dr. H., Juretzkos ehemaliger Vorgesetzter. Der soll aber, laut "Bedingt dienstbereit", Juretzkos Widersacher sein und ist nach eigenen Angaben mit dem seinerzeit ernsthaft der Spionage verdächtigen Volker F. verschwägert. - Doch Dr. H. will weder den besagten Bericht geschrieben noch je mit seinem Schwager über das Manuskript des zur Rede stehenden Buches geredet haben.

Die Zeugenvernehmung von Dr. H. und 'Schuhbeck' fand am 17.Mai 2006 unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen statt. Beide gelangten durch die separate Treppenanlage für Häftlinge der JVA in den Prozesssaal.

Öffentlichkeit ausgeschlossen

Am 24. Mai 2006 verlas die Verteidigung hierzu eine Erklärung, die sich unter anderem inhaltlich mit der Aussage der Zeugen vom 17. Mai 2006 befasst. Eine konkrete Gefährdung des BND durch Juretzkos Veröffentlichung konnten demnach weder dessen ehemaliger Vorgesetzter Dr. H. noch sein Nachfolger in der Führung des Agenten "Eulenspiegel" begründen. Lediglich von einer 'latenten' Gefährdung und einem nicht auszuschließenden Imageschaden sei die Rede gewesen.

Da bereits vor der Veröffentlichung von "Bedingt dienstbereit" entsprechende Decknamen in den Medien verbreitet wurden, zudem ausländische Geheimdienste, anders als der BND, ausschließlich mit Klarnamen arbeiten, scheint der Vorwurf der Preisgabe geheimer Informationen in diesem Punkt absurd.

Das Fantom Rübezahl

Auch der Vorwurf, der Informant "Rübezahl" sei durch die Schilderung der Vorgänge in London enttarnt worden, klingt an den Haaren herbeigezogen, nachdem Dr. Melanie R. erklärt: "Ich persönlich glaube, 'Rübezahl' hat es nie gegeben." Und Referatsleiter und Exchef von Norbert Juretzko, Dr. H., mutmaßt, 'Rübezahl' sei mit 'Eulenspiegel' identisch.

Die Verteidigung beantragt nun, die Originalakten des BND als Beweismittel in die Hauptverhandlung einzuführen. Der Anhörung von O., des ehemaligen Vorgesetzten von Norbert Juretzko und der Verlesung zweier Zeitungsartikel, darunter ein Beitrag aus dem "Spiegel", in dem strittige Decknamen genannt werden, hat das Gericht bereits zugestimmt.


Urteil: Freispruch. Die Publikation habe "das Ansehen des BND zwar nicht gerade gefördert", so der Vorsitzende Richter Matthias Schertz, das reiche aber nicht für eine Verurteilung. Möglicherweise bahnt sich mit Juretzkows gerade auf den Markt gekommenen Buch "Im Visier" jetzt neuer Ärger an.

Lesen Sie auch:
BND: Öffentliche Prügel im Geheimnisprozess (TAZ 8.06.06)
BDN enttarnte eigene Agenten (BLZ 10./11.06.06)
Urteil rechtskräftig (14.06.06, weblog Ferdinand von Schirach)
Schreiben an den Präsidenten des BND (15.06.06, weblog Ferdinand von Schirach) zuletzt!


NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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RA Ferdinand von Schirach, Norbert Juretzko (v.l.n.r.). Ganz rechts: Wilhelm Dietl, freier Journalist (u. a. für "Stern", "Spiegel", "Quick" und "Focus") und Koautor des Buches "Bedingt dienstbereit", arbeitete lt. BLZ seit 1982 in der Auslandsaufklärung als Agentenführer für den BND und war selbst dessen 'Quelle'.


Dr. Melanie R., Referatsleiterin beim BND, schrieb mittelbar ihren Bericht zur Sache auf Grundlage eines Berichts ungeklärter Herkunft, und sagt: "Ich bin noch nicht zum Lesen des Buches gekommen. Ich habe es nur mal so durchgeblättert."

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