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aus dem moabiter kriminalgericht


Vergewaltigung, der Klassiker: Aussage gegen Aussage


von Barbara Keller

19.09.2006. Moabiter Kriminalgericht. 15. Große Strafkammer
Im März 2003 lernt die ehemalige LPG*-Arbeiterin Ingeborg S. (68) den früheren Ofensetzer Hans W. (64) kennen. Ingeborg S. ist eine einfach strukturierte Frau, Analphabetin und seit kurzem Witwe. Während der schweren Krankheit ihres Mannes, ein eingefleischter Alkoholiker, entsagt sie dem Trinken. Trotzdem Ingeborg S. nicht alkoholkrank ist, besucht sie eine Tagesstätte für Alkoholiker in der Gartenstraße in Mitte. Dort begegnet sie dem hilfsbereiten, netten Hans W. Als der Weddinger Rentner kurz darauf bei ihr einzieht, lernt sie auch seine cholerische Kehrseite kennen: Schläge und erzwungenen Sex. So sagt sie. Auch am Neujahrstag 2005 soll er Ingeborg S. zum Oralverkehr gezwungen und mit der Faust auf das Ohr geschlagen haben, weil sie sich seinen Sexpraktiken widersetzte. Vor Gericht leugnet Hans W., der im Zusammenhang mit Alkohol bereits zwei Menschenleben auf dem Gewissen hat, beides. Er sagt: "Ich brauchte sie ja gar nicht zu schlagen. Weil sie alles macht, was man ihr sagt."


Hans W., seit August 2006 in Haft, ist am Tag der Hauptverhandlung 'ganz Ohr' zu erleben. Der gelernte Ofensetzer, der seit seinem 54ten Lebensjahr der Rente zulebte, ist ein jungenhafter Urberliner vom Schlage Schultheiß in naturtrüb verwaschener Bluse, grauer Weste, verblichen brauner Trainingshose, zerlatschten, hellbraunen Halbschuhen, das schüttere Haar zu einer graugelben Platte in die Kragenbremse gegehlt. Tapfer steht er die gesamte Zeit des Verfahrens, die Hände gefaltet - ein aufmerksamer Schüler.

Hans W. hat bereits seine Erfahrungen mit Justitia. Die Highlights unter seinen circa 16 Verurteilungen bilden eine Kindesmisshandlung (acht Monate Haft, 1970), eine Körperverletzung mit Todesfolge (sechs Jahre Haft, 1984) und eine fahrlässige Tötung wegen Trunkenheit am Steuer (zwei Jahre und vier Monate Haft, 1996) - alle abgesessen.

Der treu sorgende Partner

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft streitet Hans W. rundheraus ab. Ganz im Gegenteil, erklärt Hans W. dem Gericht. Ingeborg S. (!) sei die haltlos trinkende Person. Wie oft habe er ihr gesagt: "Inge, hör auf zu trinken. Du machst überall Schulden." Er habe gekocht, die Unterwäsche für sie gewaschen, alles eingekauft, saubergemacht, ja! kistenweise Kleidung für sie gekauft! Denn: "Sie hatte ja nichts", sagt er.

Und dann lügt Hans W. (mindestens) zum ersten Mal: "Ich habe sie nicht auf's Ohr geschlagen", beteuert er. Völlig ahnungslos sei er gewesen, als er fragte: "Wat hast'n da am Ohr?" Worauf Ingeborg S. bockig mit "Wees ik doch nich!" abgewehrt haben soll.

Die Ruhe selbst

Nein, also tätlich sei er nun wirklich nicht gegen Ingeborg S. geworden. Er schlug nur einmal mit dem Handtuch nach ihr, als sie kleckerte. "Ich bin die Ruhe selbst!", erklärt Hans W. im Brustton der Überzeugung. Anzeigen gegen ihn hätte Ingeborg S. auch nicht erhoben, lügt er weiter. Um dann einzuräumen: die hätte sie aber alle unter Alkoholeinfluss gemacht. Und Sexualität sei eben Bestandteil ihrer Beziehung gewesen. "Natürlich nicht jeden Tag", witzelt Hans W., "man ist ja auch nicht mehr der Jüngste!"

Ingeborg S., die nach den Ausführungen von Hans W. vor dem Gericht ihre Aussagen macht, ist sich selbst keine gute Zeugin. "Warum muss ik mich denn hier quälen. Ik habe doch schon mal ausjesagt", poltert sie. Und blockt Detailfragen mit: "Dit is mir peinlich."

"Dit is mir peinlich"

Schließlich ist von Ingeborg S. dann doch unter Mühen zu erfahren, dass Hans W. sie wiederholt gezwungen habe, zu oralem und analem Verkehr. Aber der Neujahrstag 2005 ist ihr dann entfallen. Die sexuelle Dauerbereitschaft des 64-Jährigen hält Ingeborg S. für eine Krankheit. Natürlich habe sie sich gewehrt, aber: "Wat sollte ik denn machen?"

Und wenn ihr wegen des Geldes wieder Schläge drohten, suchte Ingeborg S. Unterschlupf bei Martina S., die auch schon mal die harte Hand des trunkenen Hans W. zu spüren bekam und über alles im Bilde sein soll. - Auch Martina S. ist am Tag der Verhandlung als Zeugin geladen, erscheint aber nicht. Und im gegenseitigen Einverständnis verzichten Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Kammer auf die Zeugin.

Drohungen, Zwang, Gewalt

Der Einzige, der die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft glaubhaft machen kann, ist Horst M. (48), der Betreuer von Ingeborg S. Als Zeuge vor Gericht bestätigt er, dass Ingeborg S. unter Androhung und Anwendung von Gewalt und Zwang leicht beeinflussbar ist. Ingeborg S. sei jedoch eine "grundehrliche Haut". Und anfangs hätte er sich für die gutmütig poltrige Rentnerin, die übrigens Epileptikerin sei, gefreut, dass sie einen neuen Freund fand.

Doch bereits nach drei Monaten Honeymoon rief Ingeborg S. ihn immer wieder an, sie würde geschlagen, aus ihrer eigenen Wohnung ausgesperrt. Hans W. brächte nachts Leute mit in die Wohnung, in die er sich auch gewaltsam Eintritt verschaffe. Betreuer Horst M., den Ingeborg S. wiederholt zu Hilfe ruft, um den betrunkenen, gewalttätigen Untermieter rauszuwerfen, muss selbst erleben, wie der cholerische Mann ihn bedroht. Ingeborg S. erstattet das erste Mal Anzeige.

Es soll nicht die einzige Anzeige bleiben. Die Polizei rückt schließlich so oft an, dass sie nur noch unwillig erscheint. Mehrmals kommt Ingeborg S. mit einer Blessur in die Tagesstätte, einmal auch mit einem Feilchen.

Irgendwie hörig gemacht

Am Neujahrstag 2005 die Eskalation. Weil Ingeborg S. sich (nach eigener Aussage) dem Oralverkehr widersetzt, schlägt ihr Hans W. mit der Faust auf das rechte Ohr und erzwingt den von ihm gewünschten Sex. Zwei Tage später geht Ingeborg S. zum Ohrenarzt, weil sie auf dem rechten Ohr noch immer nichts hört und erstattet am 14.1.2005 Strafanzeige.

Betreuer Horst M. bringt Ingeborg S. in einer Pension außerhalb Berlins unter und nimmt Hans W. die Schlüssel ab. Aber irgendwie, so sagt der Betreuer resigniert, habe es Hans W. wieder geschafft, Inge hörig zu machen. Anfang Juni 2005 endlich zieht Ingeborg S., die seit eineinhalb Jahren keinen Alkohol trinkt, unter tatkräftiger Unterstützung ihres Betreuers in eine Einrichtung an den Rand Berlins. Dort möchte sie auch bleiben, denn, so ihr Betreuer M., sie habe Angst vor Hans W.

Die klassische Situation

Das Urteil? Nachdem Hans W. verfahrensverkürzend die Körperverletzung einräumt, ist es auch schon da. Die Staatsanwaltschaft hält in ihrem Plädoyer eine Überführung zweifelsfrei nicht für möglich. Ihr bleiben Bedenken, ob Hans W. erkennen konnte, dass er gegen den Willen des Opfers handelte. Sie beantragt eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten. Der Verteidigung ist das recht.

Das Gericht verurteilt Hans W. schließlich zu einer Bewährungsstrafe von drei Monaten mit sofortiger Aufhebung des Haftbefehls. Die Bewährungsauflage: Hans W. habe sich von Ingeborg S. fernzuhalten.

In der Urteilsbegründung heißt es: Die Vergewaltigung sei nicht nachweisbar. Man habe hier die klassische Situation: Aussage gegen Aussage. Hans W. hätte sich wohl im Guten um Ingeborg S. gekümmert, unter Alkoholeinfluss jedoch extrem aggressiv aufgeführt. Dem sei Ingeborg S. nicht gewachsen gewesen. Zum Schluss gibt die Richterin dem erleichterten Hans W. noch mit auf den Weg: "Alkohol ist bei Ihnen ein schweres Problem, das Sie immer wieder hierher führt." - Welch weise Feststellung.
(Das Urteil rechtskräftig!)

*Landwirtschaftlicher Produktionsbetrieb (DDR)



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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In einer Tagesstätte lernt Ingeborg S. (li.) den netten, hilfbereiten Hans W. kennen. Als der Weddinger Rentner kurz darauf bei ihr einzieht, lernt sie auch seine cholerische Kehrseite kennen: Schläge und erzwungenen Sex. So sagt sie.

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