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aus dem moabiter kriminalgericht


Mord oder Sterbehilfe?
Krankenschwester der Charité tötete Patienten der Intensivstation


von Uta Falck-Eisenhardt

18. April 2007. Moabiter Kriminalgericht, 22. Gr. Strafkammer
"Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit!", sagt Irene B. (54) unter Tränen zu ihrem früheren Vorgesetzten, der gestern als Zeuge vor dem Landgericht Berlin auftrat. Die angeklagte Krankenschwester, die zehn Jahre lang auf der kardiologischen Intensivstation 104i in der Berliner Charité arbeitete, soll in der Zeit vom 28. Juni 2005 bis zum 2. Oktober 2006 sechs Patienten mit blutdrucksenkenden Medikamenten getötet haben. Weiterhin wirft ihr der Staatsanwalt zwei Mordversuche vor - ein Patient überlebte, bei einem weiteren blieb unklar, ob die 54jährige dessen Tod verschuldet hatte.
Beitrag zum Urteil vom 29.06.07

Noch bevor die Anklage am 18. April 2007 verlesen wurde, drohte bereits der Abbruch des Verfahrens. Grund: ein Datum in der Anklage sei falsch, erklärten die Rechtsanwälte der Angeklagten und forderten die Einstellung des Verfahrens. Die 22. Große Strafkammer unter Vorsitz von Richter Peter Faust folgte dem jedoch nicht.

Vier von sechs Tötungen gab Irene B. gestern zu. Sie habe "dem Willen der Patienten entsprechend und zu deren Wohl gehandelt", trägt Rechtsanwalt Röder für sie vor und deutet damit die Verteidigungsstrategie in Richtung "Tötung auf Verlangen" an. Im Gegensatz zum Mord drohen dafür maximal fünf Jahre Haft.

Die anderen vier Taten habe die streng wirkende Frau mit den kurzen Haaren nicht begangen. Sie bedauere zutiefst, dem Ansehen der Klinik geschadet zu haben. In der Haft habe sie erstmals Zeit und Ruhe, über ihr Leben nachzudenken. "Ich versuche, Gott, dem Herrn, mein Verhalten zu erklären", so B.

Dafür, dass die Angeklagten durch das Gerichtsverfahren den Todesfall erneut durchleben müssen, bittet sie um Verzeihung. Irene B. ergänzt: "In unserer Welt ist es oft nicht sehr einfach. Die Menschen werden älter und können noch älter werden. Ich bedauere zutiefst, dass ich mit meiner Hand in das Schicksal von Menschen eingegriffen habe. Ich weiß jetzt, dass das eine Straftat war und dafür werde ich büßen müssen."

Am 16. August 2006 erfuhr ein Pfleger aus dem Gespräch zweier Stationsärzte vom Ende der medizinischen Bemühungen um den Patienten Gerhard A. Der 77jährige lag im Sterben und sollte keine Medikamente mehr bekommen. Der Pfleger nahm gerade Blut bei dem Bettnachbarn von Gerhard A. ab, als er durch den trennenden Vorhang hindurch das Geräusch einer Spritze hörte, die von Irene B. aufgezogen wurde.

"Was spritzt sie da?, fragte sich der Kollege. Später bemerkte er den extrem gefallenen Blutdruck des Todkranken auf dem zentralen Monitor. Als er kurz darauf wieder in das Zimmer kam, hörte er, wie Irene B. eine Ampulle in den Papierkorb warf. Weil ihm das komisch vorkam, nahm der Pfleger die Ampulle des Blutdrucksenkers "NPN" an sich. Schließlich war es der einzige stoffliche Beweis für sein Misstrauen, dass sich "zu 70 Prozent auf akustischen Wahrnehmungen begründete".

Bei der Übergabe an den Nachtdienst sprach er mit zwei Kollegen über seinen Verdacht und bat sie, diese Information für sich zu behalten, aber während seines Urlaubes wachsam gegenüber der Schwester zu sein. Warum er nicht gleich zur Polizei gegangen sei, will das Gericht wieder und wieder von ihm und Irene B.´s Kollegen wissen. Warum wartete er ab, bis wieder ein Mensch auf mysteriöse Weise starb? Warum verstrichen Tage, bis der Klinikdirektor und später der Dekan über den Verdacht informiert wurden?

Die Antwort der drei Kollegen, zwei Pfleger und der Stationsarzt, klingt identisch: "Vertrauen ist die Basis unserer Arbeit", so der Stationsarzt. Reanimationen, die auf einer Intensivstation an der Tagesordnung sind, verlangen blindes Vertrauen der Kollegen untereinander, "Sonst stirbt der Patient." Der Pfleger, der den Verdacht als erster hegte, formuliert es so:"Dort wo täglich Leben gerettet wird, schwimmt doch keiner gegen den Strom."

Außerdem hätte ein falscher Verdacht schwerste arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich gezogen, verteidigt sich der Stationsarzt. Allen drei Kollegen sei aber aufgefallen, dass Irene B. seit etwa drei Jahren ausgebrannt wirkte. Ihre kinderlose Ehe kriselte und wurde im September 2006 nach 33 Jahren geschieden. Doch das Angebot, weniger zu arbeiten, wollte die Schwester nicht annehmen.

Bei ihren Kollegen sei Schwester Irene nicht sehr beliebt gewesen. Neben ihrer Dominanz nervte die Kollegen vor allem ihr Singen und Pfeifen während der Arbeit. In den letzten Monaten vor ihrer Verhaftung habe sie die Patienten ruppig behandelt, schilderte ein Pfleger. Anerkennung erhielt sie vor allem für ihre gute Betreuung der Angehörigen der sterbenden Patienten.

Mordende Pflegekräfte sind in Deutschland kein Einzelfall. Oft handelt es sich um Mediziner, die den Stress nicht oder nicht mehr gewachsen sind, so das Ergebnis von Studien. Die Charité hat infolge dieses Skandals einen anonymen Briefkasten eingerichtet, wo Kollegen ihre Verdachtsfälle frühzeitig mitteilen können. Ob er von den Kollegen im Fall Irene B. genutzt worden wäre? "Möglicherweise", so die Antwort der zwei befragten Pfleger.

Urteil vom 29.06.07
Überführt wegen Mordes in fünf Fällen urteilte die 22. Große Strafkammer und verurteilte Irene B. zu einer lebenslangen Haftstrafe.

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NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Irene B.
Irene B. gestand, vier Patienten mit blutdrucksenkenden Mitteln getötet zu haben. Sie ließ durch ihren Rechtsanwalt erklären: "Ich bin davon ausgegangen, dass mein Handeln dem Willen der Patienten entsprach."

Wolfgang A.
In der Nebenklage Wolfgang A. (re.), dessen 77 Jahre alter Vater von der Angeklagten am 19. August 2006 getötet wurde.

Richter Peter Faust
Die Schwurgerichts-
kammer unter Vorsitz von Richter Peter Faust hat vier Verhandlungstage angesetzt. Am 9. Mai 2007 könnte bereits das Urteil fallen.

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