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Mitfahrgelegenheit, blablacar

aus dem moabiter kriminalgericht


Fahrerflucht:
"Ich habe gebetet, dass ihm jemand hilft!"


von Barbara Keller

14. Sept 2007. Moabiter Kriminalgericht. 40 Gr. Strafkammer.
16. Dezember 2006 Michelangelostraße, Prenzlauer Berg, gegen drei Uhr. BMW-Fahrer Michael K. (46) fährt mit 80 km/h auf den Fahrradfahrer Stefan J. (28) auf und verletzt ihn lebensgefährlich. Der gelernte Heizungsinstallateur und Kraftfahrer ist angetrunken und, nicht zum ersten Mal, mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit unterwegs. Michael K. begeht Fahrerflucht und ist nun des versuchten Mordes angeklagt.
Urteil vom 5.10.07

Sonnabend, 16. Dezember 2006, einen Tag vor dem dritten Advent, befährt Stefan J. mit seinem Trekkingrad die Michelangelostraße (Prenzlauer Berg) Richtung Osten. Es ist gegen 3:00. Stefan J. kommt von einem Pokerabend mit Freunden bei einem Kumpel in der Winsstraße.

Er hat verloren und ist deshalb ein bisschen traurig. Mindestens sieben Stunden haben sie, wie fast jede Woche einmal, zusammengesessen. In dieser Zeit trank Stefan J. vielleicht zwei, vielleicht drei Bier. Als er sich auf den Weg nach Hause macht, fühlt er sich "ganz normal nüchtern".

Mit 80 km/h aufgefahren

Gemeinsam mit einem der Freunde schiebt er noch bis zum U-Bahnhof Vinetastraße. Dann steigt er auf sein Rad, dessen blinkendes Rücklicht eingeschaltet ist. Der direkte Weg nach Hause führt Stefan J. über die Michelangelo- und Kniprodstraße. Einen Fahrradweg gibt es auf der dreispurigen, von Straßenlaternen trübe beleuchteten Michelangelostraße nicht. 50 km/h sind hier erlaubt.

Stefan J. bemerkt nicht den mit mindestens 80 km/h von hinten auf ihn zurasenden BMW. Ein fürchterlicher Schlag, Stefan J. wird durch die Luft gewirbelt, vielleicht 40 Meter auf der Motorhaube mitgenommen, die Windschutzscheibe des Fahrzeugs zerschlägt, ist praktisch blind. - Das und was weiter geschieht, versinkt für Stefan J. für immer in gnädiger Amnesie.

Unfallverursacher Michael K. hat den Knall erschrocken zur Kenntnis genommen. Er bremst. Der gelernte Heizungsinstallateur, geschieden, ein erwachsenes Kind, kommt von einer Weihnachtsfeier, die sein Chef ausrichtete. Seit dreieinhalb Jahren arbeitet Michael K. als Kraftfahrer in dessen Spedition in Hohenneuendorf.

Michael K. hat einiges getrunken. Und eigentlich war vereinbart, dass er, um zünftig feiern zu können, beim Bruder des Chefs übernachten soll. Doch dann setzt sich Michael K. nach einem weiteren Kneipenbesuch doch in sein Auto und fährt, nicht über die Stadtautobahn, sondern quer durch die Stadt nach Biesdorf. Das ist kürzer.

Kurzer Weg durch die Stadt

Michael K. hält also an. Was er dann tat und unterließ ist ein dreiviertel Jahr später Gegenstand einer am Moabiter Kriminalgericht eröffneten Hauptverhandlung. Tatsache jedenfalls ist: Michael K. türmt Hals über Kopf nach der Devise "nichts wie weg!". Er leiert die Fensterscheibe der Fahrertür herunter. Den Kopf durch das Fenster, denn die zerborstene Frontscheibe ist praktisch blind, so fährt er zügig nach Hause. Dort legt er sich schlafen.

Zurück bleibt ein lebensgefährlich verletzter Radfahrer: Stefan J. bewusstlos, eine schwere Kopfwunde, zwei Blutgerinsel, mehrere Knochenbrüche um ihn herum verstreut die Jetons vom Pokerabend.

Der Prozess

Seit dem 16. Juni 2007 sitzt Michael K. in Untersuchungshaft. Am 24. Juli 2007 lässt das Gericht die Klage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zu. Der Vorwurf der Anklagebehörde lautet (unter anderem): versuchter Mord.

Michael K. ist ein schlanker, mittelgroßer Mann. Er trägt ein verwaschen hellgrünes, langärmeliges Hemd, Jeans, eine Brille. Seine Haare sind kurzgeschoren. Die meiste Zeit starrt Michael K. reglos vor sich hin, die Hände fest gefaltet, wütend zerknirscht mit verkniffenem Mund.

Gebeten, seine Zeugenaussage zu machen, verfällt Michael K. in ein lautstark heulendes Gezeter. Er habe nur das Fahrrad gesehen und auf den Rasenstreifen gelegt. Sonst nichts weiter, nicht den schwer verletzten Stefan J. "Ik wusste doch nich, wat dit war." Zu Hause habe er sich dann übergeben und schlecht geschlafen. Gebetet habe er, 'dass ihn jemand findet und ihm hilft'.

Er könne sich sein Verhalten nicht vergeben, klagt Michael K. beängstigend laut, trommelt verzweifelt mit den Fäusten auf den Tisch: "Warum habe ich ihm nicht geholfen, dem, der da lag!" Dennoch bleibt seine Version der Ereignisse: Er hielt, blickte zurück, sah nichts, fuhr weiter. Weil 'vorne etwas schabte', hielt er noch einmal an, sah das Fahrrad am Kühler, legte das Rad am Straßenrand ab und fuhr nach Hause.

Am nächsten Tag meldet die Freundin von Michael K. mit dessen Zustimmung den Unfall der Polizei. Das seltsame Verhalten ihres Lebenspartners, die Schäden am Wagen, am Spoiler Haare und Blut. Sie ergreift die Initiative.

Die Schäden

Der Vortrag des Zeugen und Unfallopfers Stefan J. fällt dagegen recht verhalten aus. Zwölf Tage sind aus seiner Erinnerung wie wegradiert. Den Heimweg in besagter Nacht kann Stefan J. nur noch bis zum U-Bahnhof Vinetastraße nachvollziehen.

Was bleibt: latenter Kopfschmerz, Konzentrationsschwäche, kompletter, dauerhafter Ausfall des Geruchssinns, verzögerte Reaktionen beim Sehen, Schmerzen in Knöcheln und Knien. Die berufliche Zukunft des jungen Mannes ist bis auf weiteres auf Eis gelegt. Sport kommt für den passionierten Baketballspieler und Läufer nicht mehr in Frage. Alles fällt aus, was im Stehen zu bewältigen ist.

In den nächsten zwei Prozessterminen wird es vor allem darum gehen, ob Michael K. vorsätzlich und um seine Tat zu verdecken, den lebensgefährlich Verletzten liegen ließ, im Sinne des versuchten Mordvorwurfs. Die widersprüchlichen Aussagen des Angeklagten und die Aussage einer Zeugin, sie habe den bewusstlosen Stefan J. in klassischer, stabiler Seitenlage aufgefunden, sprechen deutlich gegen den jetzt larmoyant zerknischten Michael K.

Auch dürfte zu klären sein, wie betrunken Michael K. zum Tatzeitpunkt wirklich war. Heute erklärt der Angeklagte: "Ik war, um es mal auf Deutsch zu sagen, besoffen." Gegenüber einer Psychologin hatte Michael K. jedoch im Dezember 2006 noch behauptet, höchsten drei, vier kleine Bier getrunken zu haben. Michael K. heute: "Da habe ik mich selber belogen."

Urteil:
Die Schwurgerichtskammer verurteilte den 46-jährigen Michael K."... für das unversorgte Liegenlassen eines schwerverletzten und bewusstlosen Unfallopfers wegen versuchten Mordes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten". Nach § 23 StGB Abs. 1 ist auch der Versuch eines Verbrechens stets (!) strafbar, kann allerdings laut § 23 Abs. 2 gemildert werden. Allerdings tritt an die Stelle der lebenslangen Freiheitsstrafe wie im vorliegenden Fall eine Haftstrafe nicht unter drei Jahren. Die 40. Große Strafkammer hat sich in ihrem Urteil am unteren Limit orientiert.
(... die offizielle Presseerklärung 05.10.2007)


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NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Michael K. (46), der betrunken mit 80 km/h überhöhter Geschwindigkeit einen Radfahrer anfuhr und schwer verletzt liegen ließ, sagt vor Gericht: "Zu Hause habe ich gebetet, dass ihm jemand hilft."


Stefan J. (29) kam von einer Pokerrunde mit Freunden und war mit seinem vorschriftsmäßig beleuchteten Trekkingrad auf dem Weg nach Hause, als ihn Michael K. anfuhr.


Rechtsanwalt Peter Mildebrath, der Verteidiger des betrunkenen Rasers erkärt: "Michael K. hat in der Michelangelostraße nichts mitbekommen."


Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin Gabriele Strobel: "Aber dass Ihre Windschutzscheibe völlig blind und zersplittert war, das haben Sie schon mitbekommen?" antwortete Michael K. kryptisch: "Ich hab's gesehen, aber nicht wahrgenommen."

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