Was für ein brachialer Streich. In der Nacht zum Montag, dem 24. September des vergangenen Jahres, machen sich drei Männer auf den Weg, die Reicheltfiliale in der Ollenhauerstraße, Reinickendorf, zu berauben. Gegen 1:00 stehlen sie das von ihnen benötigte Flucht- und Transportfahrzeug, einen VW-Transporter, in einer Werkstatt in der Auguste-Viktoria-Allee.
Dort schließen sie auch einen Gabelstapler kurz, mit dem sie vor dem Reicheltmarkt vorfahren. Das Ziel ihres Coups ist ein Geldautomat, der sich im Vorraum des Gebäudes befindet und den sie samt darin befindlichen Geldes stehlen wollen. Es sind stattliche 38.950,00 Euro.
Einer der Komplizen durchbricht mit dem Gabelstapler die Glasfront des Einkaufsmarktes. Kurzerhand wird der Geldautomat an den Gabelstapler gekettet. Nachdem dieser aus der Verankerung gerissen ist, landet er auf dem gestohlenen Transporter.
Doch zu einem erfolgreichen Abschluss kommt der skrupellose Einbruchsdiebstahl nicht. Denn Anwohner haben das Trio bei ihrem Treiben beobachtet und die Polizei alarmiert. Die erreicht den Tatort gerade noch rechtzeitig zu einer zünftigen Verfolgungsjagd. Die Auguste-Viktoria-Allee runter in Richtung Eichborndamm geht die rasante Fahrt, bei der der Einsatzwagen der Polizei gerammt, die seitliche Schiebetür des Transporters abreißt, der Geldautomat auf der Ladefläche mehrfach ins Schlingern gerät und schließlich umfällt.
Dass die Verfolgungsjagd bereits wenige Hundert Meter weiter im Wackerweg, einer Sackgasse, endet, beweist die geringe Ortskenntnis der Diebe. In heller Panik flüchten sie unter Zurücklassung der Beute zu Fuß weiter. Die Polizeibeamten stellen in der Nähe des Fluchtorts einen jungen Mann, der sich hinter einem Baum offenbar zu verstecken sucht.
Es handelt sich um Michael M. Es ist circa 2:00 nachts und gegen Michael M., so stellt sich heraus, liegen mehrere Haftbefehle wegen Bandendiebstahls und Körperverletzung vor. Was liegt näher, als den 28-Jährigen wegen dringenden Tatverdachts erst einmal dingfest zu machen?
Ein Jahr später, am 25. November 2008 hat sich Michael M. wegen eines 'besonders schweren Falls von Diebstahl' vor dem Berliner Landgericht zu verantworten. In einer Vorabsprache mit dem vorsitzenden Richter der sechsten großen Strafkammer, Richter Rothbart, ist lose vereinbart, dass dem Angeklagten gegen ein Geständnis eine Haftstrafe von eineinhalb Jahren, allerhöchstens jedoch eine Haftstrafe von zwei Jahren droht.
Deshalb sind am 25. November 2008, auch keine Zeugen geladen. Die Verhandlung soll mit einem Minimum an zeitlichem und finanziellen Aufwand an diesem Tag zu Ende gehen. Doch Richter Rothbart ist am Tag der Hauptverhandlung in Urlaub. Und der ihn vertretende, sonst beisitzende Richter Nordhoff, fährt einen eigenen Kurs.
Zunächst lässt Richter Nordhoff noch durchblicken, dass das Verfahren ein kurzes wird. Er merkt an, dass sein Büro renoviert wurde und deshalb alle möglichen Unterlagen nicht zur Verfügung ständen. Aber, so sagt er lächelnd, "das ist hier ja alles nicht so kompliziert."
Als sich jedoch Michael M. zur Sache einlassen will und sein Rechtsanwalt noch einmal an das Vorgespräch mit Richter Rothbart erinnert, wehrt Richter Nordhoff vehement ab. "Das ist doch wohl nicht richtig", widerspricht er. Worauf Rechtsanwalt Horst Deike für seinen Mandanten im Gegenzug eröffnet: "Es ist doch klar, dass sich mein Mandant sich dann nicht einlässt."
In der darauf folgenden Verfahrenspause können sich Verteidigung, Kläger und Gericht in einem internen Rechtsgespräch offenbar über das weitere Prozedere nicht einigen. Und schließlich heißt es, nachdem nun auch wieder die Öffentlichkeit zugelassen ist, das Verfahren wird ausgesetzt. Fast trotzig verkündet der Richter: "Ich habe dieses Jahr auch keinen Termin mehr zur Verfügung."
Da ohne Zeugen ohnehin nicht weiter verhandelt werden kann, ist das Verfahren erst einmal bis auf weiteres auf Eis geschoben. Wie es ausgeht, steht in den Sternen. Der Angeklagte wird sich nun die Tat nach allen Regeln der Kunst nachweisen lassen. Beweise seiner Täterschaft gibt es nicht. Keine DNA-Spuren, keine Augenzeugen. Indiz ist allein seine Anwesenheit in der Nähe des Fluchtortes und sein einschlägige kriminelle Vorbelastung. Das könnte ein langwieriges, teures Verfahren werden.