Marco F. (20) sagt: "Ich bin kein leichtgläubiger Mensch." So, als wollte er nicht nur den Richter, sondern auch sich selbst von dieser Behauptung überzeugen. Aber dass Thomas T. und Jeffrey J. seine Gesinnung im Dezember 2008 teilten, das wollte er schon gerne glauben. Die verbindende Gesinnung charakterisiert Marco F. am ersten Tag der Hauptverhandlung etwa so: "Deutsche Jugend, Ausländer alles Scheiße und so."
Doch die Angeklagten behaupten, auch wenn sie sich gelegentlich im Milieu aufhielten, mitnichten rechtsradikal oder der rechten Szene anzugehören. Thomas T., der mit seinem langjährigen Freund Jeffrey J. einmal eine NPD-Veranstaltung mit dem Thema "Verrat an Deutschland" besuchte, sagte: "Ich fand das lächerlich, was da geredet wurde." So etwas wie 'verstanden' allerdings fühlte er sich schon und war auch gern irgendwo dabei.
Gehänselt, gedemütigt, geschlagen
Die Angeklagten sind alte Freunde aus der Schule. Einzelgänger. Beide besuchten Sprachheilklassen, wurden wegen ihrer Sprechprobleme von Mitschülern gehänselt und gedemütigt. Thomas T. erhielt vier Jahre lang logopädische, ergotherapeutische Unterstützung. Jeffrey J. kommt noch heute in angespannten Situationen nicht durch die Worte.
Es war wohl Jeffrey J., der auf die Idee kam, Marco F. auszunehmen. Er hatte den geistig etwas schlichten jungen Mann bei der Ausbildung zum Bürokaufmann kennengelernt und stellte ihn auch Thomas T., Metallarbeiter im dritten Lehrjahr, vor. Als Marco F. begehrte, im Club der gehandicapten Einzelgänger den dritten Mann zu spielen, erdachte sich das Duo für den rechten Poltergeist ein aufregendes Szenario.
Sie erklärten Marco F., Teil einer einflussreichen, rechten Organisation zu sein, die sich Sturmkommando 88 (SK 88) nennt. Marco F. imponiert das starke Duo mächtig. Er sagt: "Die hatten Waffen, CB-Funk, das richtige Timing, alles!" Als er einmal bei Jeffrey J. übernachtet, zeigt ihm dieser sein kleines Waffenarsenal. Gewehre, Revolver, Patronen.
Mit Schutzweste und Waffe ins Bett
Unvergesslich bleibt Marco F. auch, der einmal bei Jeffrey J. übernachtet, wie sich dieser mit angelegter Schutzweste und einem Revolver unter dem Kopfkissen schlafen legt. (Falls die Konkurrenz käme, wie Jeffrey erklärt.)
Marco F. möchte natürlich Mitglied des SK88 werden. Ihm wird jedoch zunächst eine Feuertaufe abverlangt. Im November 2008 zündet er an zwei Wochenenden auf Geheiß der 'Kameradschaftsbrüder' Müllcontainer in Charlottenburg an.
Später erklärt Marco F. vor Gericht, dem für den 'Auftrag' auch Geld angeboten wurde, hastig: "Okay, es wurde niemand verletzt. Okay, Geld kann man immer gebrauchen." Als ihm dann im November 2008 die Polizei postwendend auf die Schliche kommt, will er dem SK 88 den Rücken kehren.
Okay, es wurde niemand verletzt
Doch da hat er die Rechnung ohne Jeffrey J. und Thomas T. gemacht. Sie fordern von dem 'Verräter' 2.500,- Euro Ablöse. Die soll er auf einem Baumstumpf in einem 'von Kameraden bewachten' Waldstück vor der Waldschule Grunewald ablegen.
Anstatt zur Polizei zu gehen, eröffnet Marco darauf seiner Mutter: "Wir haben ein Problem." Auch die Mutter des so erpressten verständigt nicht die Polizei. Sie gibt ihrem Sohn das Geld und vereinbart Ratenrückzahlung mit ihm.
Marco hatte gehofft, dass die Sache damit vom Tisch sei. Doch gefehlt. Die Angeklagten, die strafrechtlich bereits durch Diebstahl (einer Bifi), Einwerfen von Laternen, Spannen eines Seils über die Straße, zuletzt aber offenbar auch als Randfiguren in einem Delikt wegen gefährlicher Körperverletzung in Erscheinung traten, werden rabiat.
Im Februar 2009 verlangen sie von dem 'Verräter' erneut 3.000,- Euro. Dieses Mal locken sie den vermeintlich 'Abtrünnigen' zur Reitschule Grunewald. Um Marco zu erschrecken tragen sie Waffen. Jeffrey J. ein Gewehr, Thomas T. eines Gaspistole.
Hier, nimm den Revolver
Thomas feuert mit seiner Waffe in die Luft, um Marco Eindruck zu machen. Entweder du zahlst oder du stirbst. "Hier", sagt Jeffrey J., "nimm den Revolver und erschieße dich. Oder ich erschieße dich." Doch der völlig verängstigte Marco weigert sich, die Waffe in die Hand zu nehmen. Dann darf er gehen.
Zwei Wochen gibt das Erpresserduo Marco Zeit, das Geld aufzutreiben. Jeffrey J. schickt ihm noch eine SMS hinterher: "Ich hoffe, du gehst nicht zur Polizei. Bleib um Himmels Willen cool." Später rufen sie ihn an und inszenieren im Hintergrund eine Scheinerschießung: "Wir zeigen dir, was wir mit Verrätern machen."
Als dummer Bubenstreich geht das Delikt, das der zu Tode verängstigte Marco schließlich doch anzeigt, nicht durch. Am 2. März 2009 werden Jeffrey und Thomas verhaftet, zweieinhalb Monate später müssen sie sich wegen Nötigung und räuberischer Erpressung vor dem Landgericht verantworten.
Weil das so einfach ging
Die jungen Täter sind geständig. Quälend lange dauert die Aussage des verstört stotternden Jeffrey J., der erklärt: "Dass das so einfach geht, hatten wir nicht erwartet. Deshalb schoben wir noch eine Geldforderung von 3.000,- Euro nach."
Jeffrey J. hat seine 1.250,- Euro an Marco F. bereits zurückgezahlt. Beide Angeklagten haben sich in einem Brief an ihn entschuldigt. Aber die Rädelsführerschaft möchte keiner der beiden auf sich nehmen.
Während Jeffrey J. sagt: "T. war es.", erklärt Thomas T.: "Ich trank ein paar Bier und habe dann halb mitgemacht." Auch ob die 2.500,- Euro wie vereinbart geteilt wurden, bleibt das Geheimnis der Angeklagten. Jeffrey J. kaufte sich jedenfalls vom Geld einen Camcorder.
Die jungen Männer haben noch einmal Glück. Staatsanwaltschaft und Gericht folgen der Empfehlung der Gerichtshilfe auf Anwendung des Jugendstrafrechts sowie einer Bewährungsstrafe. Zwei Jahre Haft wegen Erpressung und versuchter räuberischer Erpressung heißt es für sie, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung und 100 Stunden Freizeitarbeit, abzuleisten innerhalb eines halben Jahres. Thomas T. hat zudem zeitnah 200,- Euro an das Opfer zu zahlen und in Raten die restliche Summe.
Innerhalb der Urteilsbegründung wendet sich Richter Nötzel in Sachen "NPD & Co.", wie er sagt, noch einmal an die Angeklagten: "Denken Sie doch einmal nach, ob es sich lohnt, bei diesen Leuten bei der Stange zu bleiben oder sich umzuorientieren." Die Gefahr, in Sachen verwickelt zu werden, bei der die Bewährung in Frage steht, sei doch sehr hoch.