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Gerichtsreportagen


Bredouillen: Die Holzkiste


von Uta Eisenhardt

Es ist selten, dass man in Moabit das Taschentuch zücken und mit dem verzweifelten Angeklagten mitheulen möchte. Ulf-Ingvar Frenzel* betritt den Saal mit einer Gehstütze. Der Hals des 65jährigen steckt in einer Krause, sein Haar ist kurz und grau – nur ein keckes, geflochtenes Zöpfchen am Hinterkopf wehrt sich gegen den Eindruck der Hinfälligkeit.

Seit zwanzig Jahren ist der gelernte Hochseefischer, der auch als technischer Zeichner und als Tauchlehrer gearbeitet hat, erwerbsunfähig. Wucherungen an der Wirbelsäule machen ihm zu schaffen. Er sei bereits mehrfach operiert worden, Morphium helfe ihm gegen die Schmerzen, sagt der Angeklagte. Er sagt das sachlich, nicht mitleidheischend. Ins Gericht muss er, weil er eine Holzkiste im Wert von 50 Euro gestohlen haben soll.

Er sei sehr oft bei „Peek und Cloppenburg“ gewesen, sagt Frenzel. Auch wenn er sich von seiner 630-Euro-Rente nichts kaufen könne, betrachte er dennoch gern die Waren. Vor einem Jahr sei ihm in der Dekoration diese Holzkiste aufgefallen. Sie sei lädiert gewesen, eine Leiste habe gefehlt. Er wollte die Kiste reparieren und sie als Geschenkverpackung nutzen. „Wissen Sie, wie schlimm das ist, den Kindern nichts zum Geburtstag schenken zu können“, sagt Frenzel der Richterin. Er habe die Abteilungsleiterin wegen der Kiste gefragt. Doch die Frau sei im Stress gewesen. „Nehmen Sie die Kiste und lassen Sie mich in Ruhe!“ habe sie gesagt. Er tat wie ihm geheißen. Doch der Gehbehinderte kam nicht weit. An der nächsten Straßenecke fing ihn ein Detektiv ab, Frenzel gab die Kiste zurück.

„Sie sind nicht berechtigt, etwas herauszunehmen, Sie müssen das vorher abzeichnen lassen“, sagt die Richterin streng. „Frau Richterin, ich gebe zu, dass das unglücklich gelaufen ist. Die Abteilungsleiterin hätte mir ja auch einen Zettel geschrieben!“ Die Richterin bietet einen Kompromiss an: Sie stellt das Verfahren ein, wenn er 150 Euro Geldbuße innerhalb eines halben Jahres zahlt. Der Angeklagte seufzt schwer. „Sie wissen nicht, wie und wovon ich lebe...“ Er habe keine 30 Euro im Monat übrig sagt der Angeklagte. „Ich kann doch nicht sagen, ich bezahle und habe das Geld nicht! Wegen so ´nem Mist! Ich war mein Leben lang ehrlich!“ Jetzt weint der Angeklagte. Er schnäuzt sich und sagt: „Entschuldigen Sie bitte meine Heulerei!“

Die Richterin überlegt gemeinsam mit dem Staatsanwalt. Freisprechen kann sie den Angeklagten nicht. Das Verfahren einstellen ohne Geldbuße ginge auch nicht, denn vor kurzem wurde bereits ein Verfahren gegen den Angeklagten eingestellt, da soll er Edelstahl-Schrauben gestohlen haben. „Die Schrauben hatte ich von zu Hause mitgebracht“, sagt Frenzel. Bleibt nur noch eine Geldstrafe zur Bewährung. 300 Euro soll der Angeklagte zahlen, falls er innerhalb von drei Jahren eine Straftat beginge, schlägt der Staatsanwalt vor.

„Dit erlebe ich ja gar nicht“, sagt Frenzel. Die Richterin verkürzt die Bewährung auf zwei Jahre, die Kuh scheint damit vom Eis zu sein. Da fällt dem Angeklagten noch etwas ein: „Darf ich fragen, wie hoch die Gerichtskosten sind?“ „Gering“, sagt die resolute Richterin. „Um die 100 Euro“, rechnet sie aus. Der Angeklagte, der eben noch Hoffnung schöpfte, sackt in sich zusammen. „Schreiben Sie dem Rechtspfleger, Sie können nichts bezahlen!“, rät die Richterin. „In einigen Fällen kann das niedergeschlagen werden.“

Da strafft sich Ulf-Ingvar Frenzel, nimmt seine Krücke und verlässt den Gerichtssaal mit den Worten: „Ich sage nicht: ‚Auf Wiedersehen!’“

* Name von der Redaktion geändert



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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