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Gerichtsreportagen


Dein Arzt und Drogendealer


von Barbara Keller

11.03.2010, Berliner Landgericht, 35. gr. SK
Prozess gegen einen Arzt aus Hermsdorf, der im September 2009 durch die 'unsachgemäße' Verabreichung von Drogen während einer psychotherapeutischen Sitzung im Stil der Psycholyse und anschließenden, mutmaßlichen Vertuschungsversuchen den Tod zweier Patienten verschuldet haben soll...
Bericht vom 22.04.2010
Bericht vom 03.05.2010
Bericht vom 10.05.2010 (Urteil)
Bericht vom 18.04.2011 (nach erfolgreicher Revision)
Bericht vom 24.05.2011 (Urteil)

Am späten Sonnabend Vormittag des 19. September 2009 findet in der Hermsdorfer Praxis des Psychotherapeuten Garik R. (51) eine Gruppensitzung statt. Ungewöhnlich ist sie zunächst weder für die zwölf Teilnehmer, noch für den verheirateten, aus Taschkent gebürtigen Arzt. Allerdings praktiziert Garik R. eine in Deutschland nicht anerkannte Therapieform, die Psycholyse. Eine Art der Psychotherapie, die, wie sie sich selbst ausweist, mit 'seelenlösenden, den Geist offenbarenden Stoffen' arbeitet.

Während die Therapie in Deutschland nicht verboten ist, sind es, wie sich denken lässt, die von ihr in Anspruch genommenen Drogen schon. Garik R., der 16-jährig mit seiner Familie als Kontingentflüchtling aus Usbekistan nach Deutschland kam und an der Freien Universität Berlin Medizin studierte, hat sein Handwerk von dem Schweizer Psychiater Samuel Widmer (60) gelernt, der sich mit seinem Lebenswandel und seinen Ansichten von freier Liebe, Polygamie und sogenanntem 'ehrbaren Inzest' einen zweifelhaften Ruf erworben hat. Anders als Garik R. arbeitet der umstrittene Guru heute, wie er sagt, nicht mehr mit verbotenen Präparaten.

Die meisten Patienten, die Garik R. aufsuchen, sind klassische Sinnsucher aus der Mitte der Gesellschaft. Der Vater dreier Kinder, der seit anderthalb Jahren seine Praxis in Hermsdorf führt, bietet ihnen für 100 bis 150 Euro die Sitzung über den Weg der geistigen Erfahrung Hilfe in 'spirituellen Krisen'.

Am 19. September 2009 wissen offenbar alle Beteiligten, was sie tun. Man trifft sich gegen 11:00, stimmt sich ein, nimmt ein Gemisch erlaubter Substanzen, sprich Methylon und Neocon, zu sich und chillt bei Musik und lockerem Gespräch erst einmal aus. Um 12:00 soll es dem Unterbewusstsein an den Kragen gehen. Mit Ecstasy, in guter Qualität auch: MDMA geheißen.

Ecstasy fällt in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz und wird in Dealerkreisen für fünf bis zehn Euro die Pille gehandelt. Garik R. hat von einem Freund und Kollegen, wie er glaubt, gutes Ecstasy bezogen, das ihm in Pulverform zukommt. 120mg sind für die Psycholyse-Sitzung pro geschätztem Normalgewicht üblich. Garik R. hat sich vorab selbst mit einer kleinen Dosis LSD 'sensibilisiert' und wiegt nun das Ecstasy ab.

Um 13:30 sitzen die Patienten erwartungsvoll schweigend im Kreis. Für die, die es wünschen, es sind sieben Beteiligte, gibt es MDMA. Jetzt hoffen die Patienten, mit erleuchtenden Erkenntnissen sich selbst zu begegnen. Doch irgendetwas läuft schief. Keine zwei, drei Minuten später bricht in der Therapiegruppe eine ungewöhnliche Unruhe aus. Während sich bereits die Tragödie vorbereitet, glaubt Garik R. die Situation vollständig im Griff zu haben. Den sich unruhig auf dem Boden wälzenden Frührentner Joachim K. (59) spritzt er Diazephram in die Bauchdecke. Marcel Ko. (28) setzt er eine Kanüle Morphium in das Gesäß. Garik R. nimmt in einem Sessel Platz, wirkt beruhigend, erklärend auf die Patienten ein. "Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht beunruhigt", erklärt der Therapeut später vor Gericht.

Doch kurz darauf ist Joachim K. tot. Er läuft blau an. Garik R. vermag bei seinem Patienten keinen Puls mehr zu spüren. "Elke, ruf sofort den Notarzt!", will der Psychotherapeut seiner Frau zugerufen haben. Dann bat er, die restlichen Sitzungsteilnehmer, den Raum zu verlassen. Zwei von ihnen, berichtet er später vor Gericht, mussten gestützt werden.

Auch Marcel Ko., ringt wenig später, bestürzt, betroffen und gehorsam von den anderen Patienten eine Etage tiefer im Kinderzimmer des Ehepaares gebracht, mit dem Tod. Ein weiterer Patient, der sich 140mg statt der üblichen 120mg MDMA ausreichen ließ, gerät in einen bedenklichen Zustand. Doch Garik R. versäumt, die herbeigerufenen Rettungskräfte, die nun vergeblich um das Leben des Joachim K. kämpfen, auf die anderen Patienten hinzuweisen.

Als aus dem Kinderzimmer des Hauses, einen Stock tiefer, der verzweifelte Schrei nach Hilfe für den bereits in Agonie befindlichen Marcel Ko. dringt, kommt jede Hilfe zu spät. Der Schöneberger Ekkehard N. (55) liegt tagelang im Koma, alle anderen Sitzungsteilnehmer der Therapiesitzung können glücklicher Weise das Krankenhaus bereits nach drei Tagen verlassen.

Keine fünf Monate später findet vor einer Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts der Prozess gegen Garik R. statt. Die Anklage lautet auf versuchten Mord, Körperverletzung und gefährliche Körperverletzung. Garik R. ist geständig. Seine Reue, sein Bedauern, sein Kummer über den Tod seiner Patienten, deutlich aber auch sein eigenes zerstörtes Leben sind greifbar. Sie lassen ihm wiederholt die Tränen in die Augen schießen.

Vorab hat Garik R., dessen Zulassung als Arzt derzeit ruht, eine schriftliche Einlassung vorbereitet, die er nun vorträgt. Darin heißt es: "Ich bin ein Gegner schnell medikamentierender Therapie." Die Psycholyse halte er für eine medizinisch sinnvolle Therapieform. Allerdings habe er zu spät die ihr innewohnende Gefahr erkannt: "Ich habe den Umgang mit illegalen Medikamenten falsch eingeschätzt." Garit R. betont, immer nur das Wohl seiner Patienten im Blick gehabt zu haben. Für den Tod seiner Klienten übernimmt er die volle Verantwortung: "Dass ich es nicht mehr gut machen kann, ist mir unerträglich."

Nichtsdestotrotz wies der Angeklagte den Vorwurf der Staatsanwaltschaft zurück, seine Patienten über die Gefahren der Einnahme der Drogen nicht aufgeklärt und ihren Gesundheitszustand nicht berücksichtigt zu haben. Auch dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft, er habe die anderen Patienten beim Eintreffen der Rettungskräfte fortgeschickt, um von dem stattgehabten Drogenkonsum abzulenken und damit den Tod des Marcel Ko. billigend in Kauf genommen, bestreitet Garik R.

"Der Vorwurf, ich wollte den Patienten vor dem Notarztteam verstecken, ist absolut absurd", las er mit erstickter Stimme vor. Es sei ihm allein darum gegangen, Platz um den kollabierten Joachim K. zu schaffen. Außerdem sei es durchaus möglich, dass er durch den Schock über den Zustand seines Patienten, so Garik R. wörtlich, 'in der Handlungsfähigkeit eingeschränkt war'.

Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach, einer der drei Verteidiger des Angeklagten, brachte nach den Einlassungen seines Mandanten eine längere Erklärung vor. Darin konfrontierte er die Öffentlichkeit mit dem Vorwurf, die Patienten hätten wie die Kinder ihre Verantwortung an der Tür des Arztes abgegeben. Von Schirach sagt: "Wer Drogen nimmt, ist selber schuld."

Dann verglich von Schirach, sich auf ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofes berufend, die Situation seines Mandanten mit der eines Drogendealers. Der würde eben nicht wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, sondern ausschließlich wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Sollte also, das Fazit des Verteidigers, ein Arzt schlechter gestellt sein, als ein Drogendealer? Ferdinand von Schirach sagt: "Das Geschehen ähnelte vielmehr einem Unfall als einem Verbrechen."

Allerdings bemerkte Anwalt Schirach zur Praxis der psycholytischen Therapie zuletzt: "Ich bin kein Freund der Psycholyse. Nichts ist vernünftig daran."
*Foto 1 Garik R. kurz vor Prozessbeginn
*Foto 2 Die Nebenkläger
*Foto 3 Ferdinand von Schirach für den Angeklagten Garik R.


NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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