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aus dem moabiter kriminalgericht


Marzahner Biergeiseldrama


von Barbara Keller

02. September 2005. Kriminalgericht Moabit. 10. Große Strafkammer.
Am 22. Januar 2004 wird Bereitschaftsärztin Martina L. (52) in einen der Plattenbauten der Raoul-Wallenberg-Straße, Marzahn, zu einem Einsatz gerufen. Als sie dem Patienten Klaus B. (52) die Ausstellung eines Rezeptes verweigert, bedroht dieser sie mit einer Pistole. Was der Patient tatsächlich will, ist Martina L. ein Rätsel. Sie glaubt, Klaus B. beabsichtige, die einstündige Begegnung in ein blutiges Finale münden zu lassen und durchleidet Todesängste.


"Das war von mir nur ein Spiel", erklärt Klaus B. dem Gericht am 2. August 2005. Er hätte es gewusst, nur sie, die Geisel, nicht: "Ich kann niemanden am Schlafittchen nehmen, Herr Richter." Frau L. hätte jederzeit gehen können.

Der Deal

Tatsächlich schätzte die Bereitschaftsärztin Martina L. ihre Überlebenschancen bei ihrem Einsatz am 22. Januar 2004 bei Klaus B. als sehr gering ein. Als sie an jenem Donnerstag per Notruf zu Klaus B. gerufen wird, schlägt ihr der alkoholisierte Mann einen "Deal" vor. Er fordert von der Bereitschaftsärztin die Ausstellung eines Medikamentes, mit dem er seiner Alkoholsucht in Eigenregie Herr werden will.

Martina L. verweigert ihm seinen Wunsch, denn das Medikament wird, da unter Umständen gesundheitsgefährdend, generell nur unter stationärer Aufsicht verabreicht. Daraufhin beginnt Klaus B. jenes "Spiel", das wenig später den Einsatz eines Sondereinheitskommandos wegen Geiselnahme ins Rollen bringt.

Noch nie so gut unterhalten

Klaus B. holt die unter einem Sofakissen seiner Couch verborgene Schreckschusspistole hervor und bedroht die Ärztin. Als er das daraufhin ausgestellte Rezept nicht akzeptieren will, es scheint ihm irgendwie nicht echt, glaubt Martina L., ihr letztes Stündlein habe geschlagen: "Ich wusste nicht, was der Patient überhaupt noch wollte."

Klaus B. zetert und weint und erzählt der Bedrängten mit vorgehaltener Pistole aus seinem Leben. Von seinen Alkoholproblemen als Quartalstrinker, von seiner Frau, die seit elf Jahren in einem Pflegeheim wegen Multipler Sklerose untergebracht ist und die er dort täglich besucht. Als die Zentrale des Bereitschaftsdienstes besorgt bei Klaus B. anruft und mit der Polizei droht, erklärt er dumpf: "Sie haben eben einen Fehler gemacht."

Endstation Griesinger

Während ein Sondereinsatzkommando der Polizei bereits unterwegs ist, begleitet Klaus B. die Bereitschaftsärztin höflich zu Tür, umarmt sie herzlich und bedankt sich. Schon lange habe er sich nicht mehr so gut unterhalten. Spätestens jetzt befürchtet Martina L. einen Show Down: dass Klaus B. erst sie und dann sich selbst erschießt. Aber das blutige Finale bleibt aus.

Stattdessen ruft Klaus B. selbst bei der Polizei an, er habe eine Geisel in seiner Gewalt. Da aber ist Martina L., die Todesängste ausstand, längst in Sicherheit, mit dem Fahrstuhl unterwegs ins Parterre und zu ihrem Dienstwagen. Um 22:41 öffnet Klaus B. einem Sondereinsatzkommando die Tür. Er kommt ins Griesinger Krankenhaus, der Spuk ist vorbei.

"Das darf nicht sein, da gibt es keinen Zweifel"

Am 2. September 2005 sitzt ein aufgeräumter, gepflegter Klaus B. im Sitzungssaal der zehnten Großen Strafkammer und bekennt sich zu allen Tatvorwürfen schuldig: "Das darf nicht sein. Soviel ist mir klar. Da gibt es keinen Zweifel." Seit einem Jahr ist der ehemalige Quartalstrinker trocken. Der gebürtige Ostberliner spricht ein gewähltes, vielleicht etwas zu explizites Hochdeutsch.

Von einer Kindheit in Kinderheimen ist die Rede, von einer alkoholkranken Mutter, einem abwesenden Vater. Und davon wie Klaus B. in einem Jugendwerkhof in Wismar auf der Werft arbeiten musste, weil er die Oberschule nicht beenden und arbeiten wollte, um seiner Mutter zu helfen. Sein Rücken ist seitdem kaputt.

Das Leben im Griff

Trotz dieser schlechten Startbedingungen hatte Klaus B. sein Leben recht gut im Griff. Er arbeitete als Transportarbeiter, später als Kraftfahrer, heiratet ein zweites Mal. Mit der Wende wird Klaus B. arbeitslos, schließlich Sozialhilfeempfänger. Als seine Frau nach fünf Jahren Ehe an Multipler Sklerose erkrankt, steht Klaus B. zu ihr. Das Ehepaar bezieht eine behindertengerechte Wohnung in Marzahn. Aber schließlich kann Klaus B. die Pflegearbeiten nicht mehr allein meistern. Seine Frau kommt in ein Heim, wo er sie täglich besucht.

Seine Alkoholsuchtsucht steuert er mit Medikamenten, um den Alltagsanforderungen gerecht zu werden. Im Januar 2004 war Klaus B. allerdings die Kontrolle über seine Alkoholkrankheit bereits entglitten.

Bewährungsstrafe mit vielen Auflagen

Das Urteil. Oberstaatsanwalt Jürgen Heinke will in dieser Geiselnahme, die nun juristisch in eine Nötigung und Freiheitsberaubung umdekliniert wird, kein Bagatelldelikt sehen und fordert eine Freiheitsstrafe von drei Jahren: "Das Gericht darf die Belange der Täter nicht über die der Opfer stellen", fordert der Ankläger.

Die zehnte Große Strafkammer bleibt indessen unter dem geforderten Strafmaß. Sie verweist neben der guten Sozialprognose auf die Lebensumstände des Angeklagten: eine kranke Frau im Pflegeheim und einen Bruder, um den sich Klaus B. kümmert. Zwei Jahre Haft ausgesetzt auf vier Jahre Bewährung mit vielen Bewährungsauflagen heißt es darum für Klaus B.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Klaus B.
Eine Stunde lang hielt Klaus B. (52) eine Bereitschaftsärztin mit vorgehaltener Pistole fest, weil sie ein Rezept verweigerte und weil er sich unterhalten wollte.

Martina L.
Bereitschaftsärztin Martina L. (52) glaubte, die Situation würde eskalieren.

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