"Gehn Sie sofort von der Tür weg!",
kommandiert es erbost hinter mir. Es ist
Verhandlungspause. Für fünf Minuten hieß es gerade. Ich
drehe mich verwundert um und blicke erstaunt auf den heute
angeklagten Winfried L.
"Sie lauschen!", droht er und befielt. "Setzen Sie sich
sofort in den Wartebereich!"
Tatsächlich habe ich in der Nähe der Tür zum Prozesssaal
gestanden. Aber heimlich gehorcht? L. hört nicht auf zu
drohen. "Sofort!", insistiert er und macht einen Schritt
auf mich zu. Den Staatsanwalt, den Richter will er gegen
mich auf aufbringen, damit ich mich endlich in die roten
Schalenstühle den Flur hinunter links setze.
Der salopp in Nadelstreifen gekleidete Brillenträger mit
dem spärlichen Haarwuchs fordert jetzt, dass ich mich
vorstelle und legitimiere. Ansonsten! Wenn es nicht mit
rechten Dingen zuginge, müsste L. nun mit dem Fuß
aufstampfen und sich der Boden auftun.
Zuletzt droht der heute Angeklagte: "Dann hole ich einen
Justizbeamten!" Gut. Kurz darauf steht ein friedvoller
Uniformierter vor mir und sieht mich fragend an. Gemäß der
Maxime, dass der Klügere nachgibt, schlage ich vor, dass
auch Herr L. sich in den Wartebereich begibt. Wegen der
Chancengleichheit 'beim heimlichen Horchen': gesagt,
getan.
Winfried L. (48) ist heute Angeklagter. Der Sohn eines
Textilunternehmers und Anwalt für IT- und Medienrecht soll
sich im Dezember 2009 und im Sommer vergangenen Jahres
aggressiv gegen Straßenverkehrsteilnehmer verhalten haben.
Winfried L. wird vorgeworfen, am 29. 12. gegen 13:40 einen
anderen Autofahrer wegen seiner Fahrweise mit Dauerhupen
bedrängt, schließlich überholt, zum Anhalten gezwungen,
festgehalten und dann die Polizei gerufen haben.
Im Sommer darauf, so heißt es, soll Winfried L. abends um
20:40 Ecke Schönhauser Allee, Torstraße auf das Fahrzeug
eines Taxifahrers eingetreten haben. Der Dozent einer
Berliner Universität, Einkommen circa 40.000 Euro brutto,
wie er freimütig erklärt, gibt sich am Tag der
Hauptverhandlung gelassen weltmännisch. Zum Punkt Zwei der
Anklage möchte er sich nicht äußern, aber bezüglich des
Punktes Eins sagt er: "Das war alles ganz anders!"
Am frühen Nachmittag des 29. 12. 2009 sei er, Winfried L.,
mit seinem Golf am Großen Stern unterwegs gewesen, als ihn
ein Cherokee von rechts bedrohlich nah kam. Winfried L.
hätte gehupt, aber Werner F. (48) keine Notiz von seinen
akustischen Warnsignalen genommen. Der Cherokee habe sich
dann knapp in eine Lücke vor ihn gesetzt. Dabei soll es
eine leichte Berührung beider Wagen gegeben haben. An der
nächsten Kreuzung stellte der Angeklagte das bislang
mutmaßliche Opfer in der in der Anklage beschriebenen
Weise.
Werner F. , Designer aus Baden Baden widerspricht. Nach
seiner Schilderung saß er in seinem schönen, großen Jeep,
unterhielt sich mit seinem Beifahrer und bekam von den
Hupereien nichts mit. "Ich bin ganz normal in eine frei
werdende Lücke gewechselt", sagt Werner F. Der Angeklagte
hätte ihn dann rechts überholt, gerammt und zum Halten
gezwungen. Der Angeklagte drohte ihm, "wir würden alle
Falschaussagen machen und dergleichen, ...., ich habe dann
irgendwann nicht mehr zugehört."
Auf 1.700,00 Euro schätzt Werner F. den an seinem Auto
entstandenen Schaden. Bei Winfried L. sind es rund
1.500,00 Euro. Der Rechtsanwalt des Angeklagten hakt nach:
"Also es überholte Sie jemand von rechts, wie ein 'geölter
Blitz', berührt Ihren Wagen, die Polizei macht Fotos von
Ihrem Auto..." Werner F. unterbricht ungehalten: "Ich hab
nichts mitbekommen. Ich hab das jetzt fünf mal gesagt.
Gehts noch?!" Richter und Staatsanwalt sehen sich einen
Moment in die Augen. Darauf erklärt der Staatsanwalt: "Ich
rege eine kurze Denkpause an..."
"Gehn Sie sofort von der Tür weg!", kommandiert es erbost
hinter mir. Es ist Verhandlungspause. Für fünf Minuten
hieß es gerade. Ich drehe mich verwundert um...
Nein, keine Angst, ich fange nicht wieder von vorn an. Und
der das zu mir sagte, war Winfried L. und nicht Werner F.
Aber vielleicht hätte es auch anders herum sein können.
Das schien wohl auch dem Gericht so. Das Verfahren wurde
schließlich ausgesetzt. Der Vorsitzende Amtsrichter
erklärte: "Wir machen hier heute mal nicht weiter." Ob es
einen neuen Termin geben wird? Der Richter sagt: "Man wird
sehen, wie sich das entwickelt."
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(alle Namen geändert)