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Gerichtsreportagen


Der dritte Mann

Kreuzberger im Berliner Terror-Prozess angeklagt

von von Barbara Keller

25.2.2011, 1. Berliner Strafsenat
Vor dreieinhalb Monaten begann vor einer Strafkammer des Berliner Kammergerichts der Prozess gegen drei Unterstützer terroristischer, Al Qaida naher Terrorgruppen. Den zwei türkisch gebürtigen Berliner Männern und der kurdisch stämmigen Frau aus Schwaben wird vorgeworfen, durch Internetaktivitäten sowie Geldspenden die Islamic Jihad Union (IJU) sowie die Deutsche Taliban-Mudschahedin (DTM) logistisch unterstützt zu haben. (Beide Terrororganisationen sollen im afghanischen Grenzgebiet gegen die demokratische afghanische Regierung und die internationalen Truppen der ISAF operieren.) Der Prozess im November 2010 begann zunächst ohne den mitangeklagten, flüchtigen Fatih K. (32), der erst im August 2010 in der Türkei gefasst werden konnte. Während in zwei Wochen gegen Filiz G. in einem abgetrennten Verfahren bereits das Urteil fällt, wird deshalb gegen Fatih K. nun gesondert verhandelt.
berlinkriminell.de berichtete...

Auch der Prozess am 25. Februar begann als Teil des ersten großen Berliner Islamistenprozesses mit einem größeren Medienrummel. Denn im Raum steht letztendlich auch bei diesem Verfahren die Frage, ob Deutschland ernstlich durch Terroranschläge bedroht ist. Ob und wie Al Qaida und Taliban & Co. auch in Deutschland Rekruten machen, die den 'heiligen Krieg' in ihr Heimatland zu tragen bereit sind.

Neues aus Bagram

Der amerikanische Geheimdienst hat diese Frage offenbar bereits für sich entschieden. Seit der Festnahme des afghanisch gebürtigen, in Hamburg ansässigen Ahmed S. in Kabul und seine Festsetzung in dem umstrittenen Internierungslager Bagram, hat sie das Bild eines aktiven, mehrere hundert Kämpfer starken europäischen Terroristenkorps in der IJU etabliert. Mindestens 200 aus Deutschland, Schweden, Frankreich und Großbritannien stammende, militante Muslims, Konvertiten, Kinder von Immigranten in zweiter Generation, kämpfen demnach in den Grenzgebieten Afghanistans in Abstimmung mit dem Haqqani-Netzwerk. Einem in enger Verbindung mit Al Qaida operierenden Taliban-Ableger.

Das sollen die Vernehmungen des Ahmed S. in Bagram ergeben haben. Mitarbeiter des BND und des Bundesamtes für Verfassungsschutz erhielten in einem Gespräch mit dem durch das US-amerikanische Militär unter Kriegsrecht gestellten, bundesdeutschen Ahmed S. nach eigenen Angaben sogar konkrete Hinweise auf geplante Terroranschläge in der Bundesrepublik.

Proselyteneifer

Dass unter deutschen Muslimen Rekruten für den Dschihad ('Heiligen Krieg') zumindest zu machen sind, bewies bereits der Sauerlandprozess. Vier junge Männer aus Schwaben, zwischen 24 und 31 Jahre alt, erhielten Haftstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren für ihr Vorhaben, auf US-amerikanische Einrichtungen in der Bundesrepublik Sprengstoffanschläge zu verüben. Auch die umfassenden Geständnisse des Rädelsführers der Sauerlandgruppe Fritz G. und die Vita des im Frühjahr 2010 in Pakistan bei Kampfhandlungen ums Leben gekommenen, mutmaßlichen IJU-Kämpfers Eric B. aus Neunkirchen (Saarland) bestätigen die Existenz deutscher Dschihadisten in den Stammesgebieten der Taliban in Pakistan. Inwieweit allerdings die deutschen Terroristen, deren Ziel zunächst der 'Freiheitskampf' in Tschetschenien war, von den Taliban zu Kanonenfutter umfunktioniert und geheimdienstlich 'rundum supported ' (u.a. Operation Alberich) zum Spielball der Geheimdienste wurden, bleibe hier dahingestellt. (Ein kritischer Beitrag hierzu: Sebastian Range, Konstrukteure des Terrors, 27.01.2011)

In dem seit November 2010 geführten Berliner Prozess gegen Filiz G. und Alican T. wird in zwei Wochen das Urteil gegen Filiz G. fallen. Während Alican T., für den Jugendstrafrecht in Anwendung kommen wird, jedoch weiter zu den Tatvorwürfen schweigt, hat Filiz G. bereits im Dezember 2010 ein umfassendes Geständnis abgelegt. Die Beweismittel sind gewürdigt, das Verfahren gegen sie wurde deshalb am 24. Februar abgetrennt.

Als Frau des verurteilten 'Abdul Malik' (alias Fritz G.) genoss Filiz G. offenbar ungewollt Protektion und war auf dem besten Weg, zur digitalen Jeanne d'Arc deutscher Dschihadisten in Waziristan zu avancieren. Die Angeklagte stellte Videos radikal islamistischer Couleur auf Youtube online, trat als Administratorin in einem Forum mit einschlägigen Inhalten auf, sammelte Spenden, überwies wiederholt Geld über Western Union und fütterte das Netz mit wütenden Pamphleten und Appellen.

Heute versteht die junge Frau, schenkt man ihr Glauben, sich selbst nicht mehr. "So kenne ich mich nicht. Ich habe mich da hineingesteigert", erklärt sie am 24. Februar. Auf ihre Zukunftspläne nach der Haft und ihrem derzeitigen Gesinnungsstand befragt, gibt die Ulmerin an, wieder in ihrem alten Job, in einem Callcenter, arbeiten zu wollen. "Auch wenn es eintönig war", setzt sie hinzu. Auf jeden Fall möchte Filiz G., die zuletzt beengt lebte und mit ihrer Mutter in einem Zimmer schlief, sich auf eigene Füße stellen.

Nichts mit der IJU zu tun

Auch Fatih K. hat nun am 25. Februar gleich zu Prozessbeginn ein Teilgeständnis abgelegt. Angeklagt, zumindest an zwei Geldüberweisungen maßgeblich beteiligt gewesen zu sein, sagt er: "Das ist richtig. Die Daten weiß ich aber nicht mehr so genau." So soll Fatih K., unter seinen Mitstreitern 'Ussud' genannt, dem damaligen Chef der Deutschen Taliban-Mudschahedin Ahmed M. († 04.2010) in einem Online-Chat im November 2009 '9 Opfer', sprich 750 Euro, für die 'Gemeinschaftskasse', in Aussicht gestellt und später auch überwiesen haben.

Das Geld ging über die Western Union in die Türkei, wurde durch einen Mittelsmann namens Jacub in Istanbul abgehoben und von diesem weiter nach Pakistan transferiert. Es sei auch richtig, so Fatih K., dass er auf Bitten von Ahmed M. (wiederum in einem Chat-Gespräch) einen Freund veranlasste, 1.080 Euro zu überweisen. Für den Erwerb "einer großen Waffe". Der Angeklagte sagt: "Ich wollte ihm die Bitte nicht abschlagen. Ich war in Sicherheit und er in Gefahr." Weiter erklärt Fatih K.: "Ahmed M. und Jacub kenne ich nicht persönlich. Mit der IJU habe ich nichts zu tun. Auch Frau G. kenne ich nicht." Mit dem mitangeklagten Alican T. habe er sich bekanntlich entzweit.

Wesentlich ausführlicher gestaltete Fatih K. dagegen seine Vita, das Leben eines Kreuzberger Tagediebes, aus. Drei Geschwister, Eltern gläubige Muslime, Vater auf dem Bau, acht Jahre Breakdance. "Ich hatte eine schöne Kindheit", sagt Fatih K. Er erklärt: "Ich war immer in der Rolle des Spaßmachers." Die Schule lag ihm nicht, er verließ sie mit einem Gesamtschulabschluss und absolvierte dann eine Maurerlehre.

Ohne Sinn und Struktur

Mit 20 Jahren wann dann Schluss. "Wir haben alle Marihuana geraucht", schildert der Angeklagte. Man hing herum, lebte von Stütze, praktisch auf der Straße. In Kreuzberg natürlich. Mit 21 Jahren heiratet Fatih K. eine gläubige Muslima, zeugt sechs Kinder. "Ich habe mich nicht um meine Familie gekümmert und meine Frau mit allem allein gelassen. Mein Leben hatte weder Sinn noch Struktur."

Dann die Erleuchtung. Seine Frau schenkt ihm, so Fatih K., eine Theaterkarte: "Das Leben des Mohammed". Fatih K. war mit einem Schlag bekehrt und nun als guter Muslim mit seinen Glaubensbrüdern auf Achse. "Ich wollte alles wieder gut machen." Als er jedoch versucht, sich als Schrotthändler selbständig zu machen, scheitert er bereits nach einem Jahr.

"Das hat mich sehr getroffen", betont Fatih K., dem es plötzlich wichtig war, seine Familie selbst zu ernähren. Im Internet will der Angeklagte dann den Propagandachef der Elif Media, Ahmed M., kennengelernt haben. Auf dem Blog der Elif Media, auf dem er sich über den 'Heiligen Krieg' informierte. Dort lud Fatih K. sich auch Videos mit Kriegsgräuel an muslimischen Zivilisten herunter. "Ich habe mich mit den Opfern identifiziert", sagt der 32-Jährige zur Erklräung seiner weiteren Radikalisierung.

Neben einigen Erklärungen zu seiner Flucht, schwört Fatih K. nun auch seinen Überzeugungen ab: "Ich habe mich auf dem Irrweg befunden", sagt er. Natürlich wünsche er nicht, den bewaffneten Dschihad nach Deutschland zu tragen. "Ich fühle mich in Deutschland wohl", betont er auch und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, nach seiner Entlassung aus der Haft in einem Obst- und Gemüseladen arbeiten zu dürfen.

Mit offenen Karten

Bundesanwalt Volker Brinkmann war dies nicht genug. Er forderte, den Angeklagten zu einem Geständnis in vollem Umfang und ohne Einschränkungen auf. Zumal es Hinweise darauf gäbe, dass Fatih K. "im Dunstkreis des Ahmed M. als einer galt, den man ansprechen kann, wenn es um das Geld geht", so Brinkmann. "Spielen wir mit offenen Karten", forderte der Bundesanwalt den Angeklagten auf.

Es geht weiter mit den Plädoyers im Verfahren Filiz G. am 1.3.2011, in Sachen Fatih K. am 2.3.. Am 3.3 wird das letzte Wort der Angeklagten Filiz G. erwartet, das sich nach Ankündigung ihres Verteidigers Hansgeorg Birkhoff umfänglicher gestalten soll. Am 9.3. wird das Urteil gegen Filiz G. gesprochen.

(Bitte Änderungen im Terminplan des Moabiter Kriminalgerichts beachten!)



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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