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Gerichtsreportagen


Darf ich noch was fragen, Hohes Gericht


von von Barbara Keller

Amtsgericht Tiergrten
Dietmar F.(41) und Anke W. (35), beide wohnhaft Reinickendorf, leben seit einiger Zeit getrennt. Im Sommer 2010 kommt es laut Anklage zwischen der arbeitslosen Textilarbeiterin und dem Landschaftspfleger zu einem unerfreulichen Telefonat. "Ich stech dich ab!", soll dabei Anke W. getobt haben. Dietmar F. glaubte sich durch den Anwurf seiner Ex-Partnerin ernstlich lebensbedroht und erstattete Anzeige...


"Möchten Sie sich zu dem Vorwurf äußern?" fragt die Richterin ein Jahr später die nun angeklagte Anke W. Die kleine, schlanke Frau - schnittiger Bubikopf, enge Jeans, T-Shirt, brauner Knutschfleck am Hals - zieht ein trotziges Gesicht: "Dazu will ik wat sagen, ehrlich jesagt." "Ja, bitte", fordert sie die Richterin auf.

"Herr F. rief mich wegen Creme an", beginnt die nicht ganz durchsichtige Schilderung des Sachverhalts. Man habe in überschaubarer Runde zusammengesessen und den Geburtstag der Angeklagten nachgefeiert. Dann sei der Anruf des mutmaßlichen Opfers eingegangen. Frau W. stellte das Telefon laut. Die anwesenden Geburtstagsgäste fühlten sich - durch geistliche Getränke in Form gebracht - nun aufgefordert, das schwierige Gespräch anzuheizen. Anke W., die ihrem verflossenen Partner schnippisch mitteilte, jedes weitere Kommunikation mit ihm abzulehnen, reichte den Hörer augenrollend an ihren Neuen weiter.

Der großflächig tätowierte, glatzköpfige Robert P.* setzte in eindrucksvollem Bass nun Marken, während Geburtstagsgast Fränzi in den Hörer quikte: "Du bist Schuld, dass die Kinder weg gekommen sind!" Von Abstechen sei dagegen nie die Rede gewesen. "Kennt denn die Fränzi den Herrn F.?" fragt die Richterin nach. Die Angeklagte verneint.

Nun tritt Dietmar F. in den Zeugenstand. Er ist mittelgroß, schlank, trägt eine nach vorn offene Tonsur. Anders als bisher ausgesagt, berichtet Dietmar F., soll es am Tattag des 21. August zu drei Telefonaten gekommen sein. "Robert* rief mich an, ich solle Anke in Ruhe lassen. Sonst bekäme ich auf's Maul." "Schwanzlose Ratte" hätte ihn seine ehemalige Partnerin genannt. "Ich habe dementsprechend erwidert", sagt Dietmar F. Das Telefonat sei wechselseitig beendet und wiederaufgenommen worden. Dann sei Anke W. am Hörer gewesen. Mit weinerlicher Stimme hätte sie verkündet: "Du bist Schuld, dass meine Kinder weggekommen sind. Ich stech dich ab!"

Es besteht Aufklärungsbedarf. Anke W., die vier Kinder hat, davon eines gemeinsam mit Herr F., musste drei an öffentliche Einrichtungen abgeben, erfährt man. Und gegen Dietmar F., so stellt sich heraus, erging ein Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz. "Warum haben Sie davon nichts erzählt? Und warum halten Sie sich nicht an den Wegweisungsbeschluss?" dringt die Richterin in ihn. "Wegen dem Kind", entgegnet kleinlaut Dietmar F. Außerdem verhalte sich Anke W. indifferent. Erst kürzlich habe er von ihr ein Telegramm erhalten, morgens um vier Uhr. Er solle sich dringend melden. Robert, ihr neuer Freund, sei gewalttätig.

Nun stellt die Amtsrichterin dem mutmaßlichen Opfer die Gretchenfrage: "Sind Sie 100 Prozent sicher, dass es die Stimme der Angeklagten war, die gedroht haben soll, Sie 'abzustechen'?" Dietmar F. reagiert mit einem unschlüssigen: "Pffffffffffffffft..." Die Richterin schiebt nach: "Oder war es nicht doch jemand anderes?" Nach kurzem Zögern sagt der Zeuge nun: "Jetzt bin ich mir auch nicht mehr so sicher." Einigermaßen entnervt kanzelt die Richterin darauf Dietmar F. ab: "Ich kann Ihnen genau sagen, wie es ausgeht: Es wird immer weiter gehen! Es gibt nur eine Lösung: Sie müssen jeglichen Kontakt zu Frau W. abbrechen!"

"Darf ich noch was fragen, Hohes Gericht?" wagt nun Dietmar F. schüchtern anzubringen. Er darf. "Was ist, wenn die Beziehung vorbei ist und man die Frau immer noch liebt?" "Akzeptieren, sich beherrschen, alles wegwerfen, was einen erinnert, verbrennen, löschen...", kommt es wie aus der Pistole geschossen vom Richtertisch. Doch Dietmar F. antwortet kleinlaut: "Ich habe nicht so einen starken Willen."

"Noch Fragen?" leitete die Richterin die jetzt folgende Unterbrechung der Sitzung ein. Offenbar nicht. Auf dem Flur stehen Anke W. und Robert P.* schweigend beieinander. Dietmar F. drückt sich verloren zehn Meter weiter im Halbdunkel des Flurs herum. Die Angeklagte knubbelt aufgeregt an ihren abgeknabberten Fingernägeln herum. "Muss ik da jetzt noch mal rin?" fragt sie vorwurfsvoll ihren neuen Freund. Der erklärt beschwichtigend: "Dit is janz normal. Jetzt kommt dit Urteil."

Kurz darauf verkündet die Richterin im Einklang mit der Staatsanwaltschaft den Freispruch zu Lasten der Landeskasse. Die Beweislage sei zweifelhaft, die Angeklagte deshalb freizusprechen. Anke W., die auf ein letztes Wort verzichtete, erklärt trocken: "Danke." Die Sitzung ist geschlossen. Das Problem offensichtlich aber bei weitem noch nicht gelöst.

*Name von der Redaktion geändert



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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