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Gerichtsreportagen


Flurschäden - Pfeffersprayeinsatz der Polizei 2011


von von Barbara Keller

5.12.2011, Amtsgericht Tiergarten

Urteile, die nachdenklich machen. - Am 1. Mai 2011 kommt es nach 22:00 am Kottbusser Tor nach einer weitgehend friedlichen Demonstration und Feier zu einem umstrittenen Pfeffersprayeinsatz der Berliner Polizei. (Süddeutsche Zeitung / TAZ) Bei diesem Einsatz werden auch Zivilbeamte verletzt, die später gegen ihre Kollegen klagen. Ein bislang unbescholtener Friedrichshainer, der schwört, Polizeibeamte lediglich mit Bier bespritzt zu haben, wird während dieser Aktion handfest sicher gestellt und zwei Monate darauf als Flaschenwerfer zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er geht in Berufung. Bei Prozessbeginn ein halbes Jahr später verlässt ihn jedoch der Mut...

Michael P. ist 30 Jahre alt, gebürtig aus Sangerhausen, bislang unbestraft. Er arbeitet als Callcenter-Agent und lebt mit seiner Freundin Anna M. in Berlin Friedrichshain. Am 1. Mai 2011 Michael. P. vor der Berufungsverhandlung Dezember 2011sind beide auf dem Kreuzberger Straßenfest 'Myfest'. Es ist gegen 23:00, Anna ist bereits nach Hause gegangen, als es passiert.

Michael P. sagt später, er habe die Polizeibeamten lediglich mit Bier bespritzt. An jenem Abend wird er mit einem Beinfeger und Überkopfwurf zu Boden gebracht und verbringt die Nacht in der Gefangenensammelstelle in Tempelhof. Zwei Monate später ist Michael P. mit acht Monaten Haft wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestraft. Der Vorwurf: Er habe einen Polizeibeamten mit einer Glasflasche beworfen und ihn, allerdings folgenfrei, am Ellenbogen getroffen.

Friedlich gefeiert bis 22:00

"Ja, es gab mehrere Verfahren. Was dabei herausgekommen ist, konnte mein Kollege mir nicht sagen", erklärt Martin Steltner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft am vergangenen Freitag. Tatsächlich hatten mindestens zwei Zivilpolizisten gegen das rabiate Vorgehen ihrer Kollegen geklagt. Es soll zu unbegründeten, gewalttätigen Übergriffen, Faustschlägen und Pfeffersprayeinsätzen gekommen sein.

Dabei wurde, Ironie des Schicksals, die Berliner Polizei gerade für ihr besonnenes Vorgehen am 1. Mai 2011 anlässlich der Maikrawalle in Neukölln gelobt. Die Beamten sollen sich zurückgehalten haben, selbst als die Scheiben von Bankfilialen splitterten. Am Kottbusser Tor dann jedoch der Strategiewechsel.

Störer sollten in Gewahrsam genommen werden

Rund 1000 Menschen hatten sich nach 22:00 am Kottbusser Tor versammelt, friedlich, wie Augenzeugen berichteten. Angeblich um Randale zu verhindern, streiften Bereitschaftspolizisten der Bundespolizei in kleinen Trupps durch die Menge. Dabei schubsten Beamte, so ist auf einem Video zu sehen, wahllos um sich und brachten ohne erkennbaren Grund Pfefferspray in Einsatz.

"Störer sollten in Gewahrsam genommen werden. Wir hatten die gesamte Schutzausrüstung angelegt", erklärt Zugführer Marc M. (37) am 30. August 2011 dem Gericht. Er ist einer der drei Zeugen an diesem Tag, die unisono bestätigen, dass Michael P. mit einer Glasflasche einen Kollegen bewarf und traf. Marc M. sagt: "Die Flasche wurde gezielt geworfen. Es war eine lockere Armbewegung."

Polizeikommissar Ronny P. (35), er ist der Geschädigte, berichtet: "Die Menschenmenge war verbal aggressiv. Gelegentlich flog eine Flasche." Der Beamte befand sich unter der Hochbahn auf dem Weg zum Fahrzeug und war gerade dabei, mit einem Kollegen eine Festnahme umzusetzen. Seine einzige Festnahme an diesem Tag. Ronny P. hielt den Delinquenten im Schwitzkasten, während sein Kollege ihm den Arm nach hinten drehte. In dem Moment fühlte Ronny P. einen Schlag am rechten Ellenbogen. Er nahm einen intensiven Biergeruch wahr. Sein Ärmel war nass.

Da bin ich mir 100 Prozent sicher

Polizeimeister Dogan A. (37), der dritte Zeuge im Bunde und wie seine Kollegen am 1. Mai 2011 seit rund neun Stunden im Einsatz, ist an diesem Tag als Zivilbeamter eingesetzt. "Ich habe gesehen, wie er die Flasche geworfen hat. Da bin ich mir 100 Prozent sicher", sagt Dogan A. Er widerspricht sich jedoch auch. "Ich habe nicht gesehen, was es für eine Flasche war", heißt es zunächst. Dann aber: "Es war definitiv keine Plastikflasche."

Der Angeklagte Michael P. versteht die Welt nicht mehr. Er ist reumütig und ihm ist auch klar, dass es nicht richtig ist, Polizeibeamte oder überhaupt Personen mit Bier zu bespritzen. Aber er beteuert: "Ich habe keine Flasche geworfen." Zudem sei es eine Plastikflasche gewesen, die er zuvor an der Tankstelle kaufte.

Michael P. befand sich zuvor mit seiner Freundin auf dem Myfest. Das Kreuzberger Straßenfest ist das friedliche Pendant zu den Maikrawallen. Es wird vom Bezirksamt und der Polizei unterstützt. "Ich war ganz schön betrunken", sagt Michael P. Er stand mit seinen Freunden an der Ecke Skalitzer Straße, habe sich "mitreißen lassen" und die Beamten mit Bier bespritzt. Dann sei er blitzschnell zu Boden gebracht worden, jemand hätte seinen Arm bearbeitet und auf ihn eingeschrien: "Lass die Flasche los, lass die Flasche los!" So war es, meint Michael P., der ganz bestimmt nicht stolz auf sein Verhalten ist.

Das Berufungspatt

Michael P. kann nicht glauben, dass er nun vorbestraft sein soll und geht gegen das Urteil vom 31. August 2011 in Berufung. Womit der mit dem Strafrecht bislang unvertraute junge Mann nicht rechnet: auch die Staatsanwaltschaft tut es. Es soll nach ihrem Willen nun noch einen Nachschlag wegen versuchter Gefangenenbefreiung geben. Denn Zugführer Marc M. hatte Michael P. weiter belastend erklärt: "... dann begab er sich zu dem Beamten und wollte ihn am Arm ziehen."

Vier Monate später, am 5. Dezember 2011, kommt es auf Antrag des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft erneut zu einer Verhandlung. Doch Michael P. hat am Tag der Hauptverhandlung bereits aller Mut verlassen. Er wagt es auch nicht, zwei ihm günstige Zeugen zu benennen, weil er Repressalien gegen sie befürchtet. Einer der Beiden schreibt gerade an seiner Doktorarbeit.

Nach der Anklageverlesung lässt Michael P. deshalb durch seine Rechtsanwältin erklären, er sei 'unter bestimmten Vorraussetzungen bereit, die Berufung zurückzuziehen'. Ihm geht es darum, dass auch die Staatsanwaltschaft auf weitere Strafverfolgung verzichtet. Der Staatsanwalt lächelt. Er muss noch einmal mit seinem Dienstherren Rücksprache halten. An Ort und Stelle zückt er das Mobiltelefon. Dann stimmt auch er zu. Das Urteil wird damit rechtskräftig.

Es bleibt also bei dem Urteil. Michael P. muss sich mit einem Eintrag ins Bundeszentralregister in Bonn abfinden, der frühestens in fünf Jahren getilgt sein wird.



am 28.02.2012 schrieb Anna Maria M., die Freundin des Verurteilten, in einer Email:


"Hallo Frau Keller,
vielen Dank für den Beitrag! Ich möchte nur etwas richtigstellen:....."
(zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken)

Zuschrift



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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