Der junge Mann, der im Mai vergangenen
Jahres in Spandau einem vor ihm an der Ampel stehenden,
völlig fremden Passanten ein Messer ins
Gesäß rammte, ist heute nicht am Amtsgericht
erschienen. Dieses seltsame Verhalten bleibt für
heute unerklärt. Gegen den 23-Jährigen ergeht
ein Haftbefehl. Von dem Opfer erfahren wir erleichtert,
dass ein Messerstich in den Po weniger schmerzhaft als
vielleicht vorgestellt ist. Es sagt: "Im Rettungswagen
haben wir darüber ziemlich gelacht."
In der 3. Etage des Amtsgerichts Tiergarten tummeln
sich um die späte Vormittagszeit lediglich vor dem
Saal 370 noch Angeklagte und Zeugen. Die ersten
Verfahren des Tages haben sich um über eine Stunde
verzögert. Neben einem erstaunlich dicken Herren
Ende 40 lümmelt cool ein Schwarzer. Schulterlange
Dreadlocks, langer, grüner Parka mit Fellbesatz,
schwarze Wildlederschuhe. Während der dicke Mann
mit der durchdringenden Duftmarke ein in seinen
Händen klitzeklein wirkendes Handy bearbeitet,
erwartet sein Sitznachbar, den Porkpie * tief ins Gesicht
gezogen, den Aufruf seiner Sache.
Quido S. ist Koch-Azubi. 2003 kam er 13-jährig mit
seiner Mutter aus Jamaika nach Berlin. Er hat die
jamaikanische Staatsbürgerschaft. Quido S. ist ohne
Anwalt erschienen und sich sicher, dass der gegen ihn
ergangene Strafbefehl, eine sechsmonatige
Bewährungsstrafe wegen versuchter gefährlicher
Körperverletzung, jeder Grundlage entbehrt. Der
freundliche Hinweis der Richterin vorab, dass alternativ
zu dem Strafbefehl nur ein Freispruch oder ein Urteil
mit Nachschlag in Frage kommen, prallt an ihm ab. Er
will seinen Widerspruch gegen den Strafbefehl nicht
zurückziehen.
Der Vorwurf der Anklage klingt skurril. Quido S., so
heißt es, soll im Oktober des vergangenen Jahres
in einer Filiale von 'Lucas
Tierwelt' in Schmargendorf gezielt einen
Futtereimer nach dem Vizemarktleiter geworfen haben aus
Wut darüber, dass man ihm keine Ratten verkaufte.
Der Angeklagte hat das Wort. Quido S. führt aus,
dass er an besagtem Tag für einen Film seiner
Schwester zwölf Ratten besorgen wollte. Die Tiere
wurden lediglich für einen Tag benötigt. Quido
S. fragte daher die Mitarbeiterin der Zoohandlung, ob er
die Nager nach einem Tag wieder zurückbringen
könne. Außerdem hoffte er, die Rechnung als
'Requisite' laufen lassen zu können.
Die Verkäuferin war jedoch überfordert mit
dem Ansinnen des Kunden. Eine weitere Mitarbeiterin
musste ran. Die wollte jedoch die Ratten nicht an den
inzwischen verstimmten Käufer abgeben. Sie monierte
die nicht gegebene artgerechte Haltung der Tiere und
wollte Quido S. einen passenden Käfig verkaufen.
Ein lautstarker Disput über den nicht in Fluss
kommenden Verkauf rief den Vizemarktleiter auf den Plan.
Der platzierte sich schützend vor seine
Angestellte: "Wenn Sie mit so einem Auftreten zu Porsche
gehen würden, würde man Ihnen auch keinen
Porsche verkaufen!" Quido S., der diese Bemerkung auf
sein Äußeres bezog, sagt: "Da geriet ich in
Rage." Der Angeklagte gesteht, einen Papiereimer mit dem
Fuß 'gekickt' zu haben: "Da flog der Eimer um,
bam!"
In der Welt von Jörg S. (57) und Nadine S. (19),
dem Filialvize und einer Mitarbeiterin, stellt sich das
Verkaufsgespräch und der Eklat etwas anders dar.
Danach ging Quido S. aus dem Anzug, als Jörg S. die
Polizei rief. In diesem Moment soll der Angeklagte die
Futtertonne (ca. 70 cm hoch, 50 cm Durchmesser, evtl. 17
kg schwer) nach dem Zeugen geschleudert haben. Der
Zeuge, der dem Wurf ausweichen konnte, erklärt:
"Die Tonne flog gegen die Glastür. Die bekam einen
massiven Sprung."
Nach dieser Aussage des Geschädigten seufzt der
Kläger resigniert: "Es wird nicht besser."
Richterin und Staatsanwalt meinen es gut. Sie legen dem
Angeklagten nah, den Widerspruch gegen den Strafbefehl
zurückzunehmen. Doch Quido S., der übrigens
einschlägig vorbelastet ist, versteht den Wink mit
dem Zaunpfahl leider nicht.
"Ganz gezielt warfen Sie die Futtertonne", hält in
seinem Plädoyer schließlich der Staatsanwalt
dem Angeklagten vor. "Sie haben Probleme, Ihre Emotionen
in der Raison zu halten." Angesichts eines
möglichen Schadens und weil sich der Angeklagte
offensichtlich nicht mit seiner Tat auseinandersetzt,
fordert der Kläger nun eine Bewährungsstrafe
von acht Monaten mit der Auflage, innerhalb von einem
Jahr 500 Euro in die Justizkasse zu zahlen.
"Auf jeden Fall habe ich die Tonne nicht gezielt
geworfen", lenkt der Angeklagte in seinem letzten Wort
zu spät ein. "Ich war in Rage", versickert
kleinlaut seine Erklärung.
Das Gericht folgt in seinem Urteil der
Staatsanwaltschaft. Es gibt einen Nachschlag für
die versuchte gefährliche Körperverletzung.
Die Richterin argumentiert: "Kein Zweifel. Sie sind
relativ grundlos in Rage geraten." Quido S., dem das
Wort nicht gehört, der aber wiederholt zu
Entgegnungen ansetzt, kommentiert kraftlos: "Ach so."
"Der Angeklagte soll merken, dass es nicht richtig ist,
was er getan hat", begründet die Richterin das
Urteil. Sie rät Quido S., die 500 Euro fristgerecht
zu zahlen.
Als der angehende Koch den Gerichtssaal verlässt,
halten ihn schon wieder ganz andere Probleme in Atem.
Der Akku seines iPhones ist runter. Er sucht einen
Anschluss für sein Ladegerät. Aber die Dose
auf dem Gerichtsflur führt bedauerlicher Weise
keinen Strom.