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Gerichtsreportagen


"Was geschehen ist, ist geschehen. Schön ist es nicht."


von Barbara Keller

20.01.2014, Amtsgericht Tiergarten
Ein 73-jähriger, notorischer Dieb und Einbrecher a. D. mit offener Bewährung setzt nach einem Konflikt auf der A111 einen mutmaßlichen Verkehrsrowdy mit Pfefferspray, sprich 'Tierabwehrspray', außer Gefecht. Es droht der Bewährungswiderruf....


Als könnte er kein Wässerchen trüben. Heinrich L.* (73), stützt sich auf den Alu-Knauf seines Spazierstocks und wartet geduldig auf den Aufruf seines Verfahrens. Rechts von ihm sitzen im neonbeschienen Wartebereich des Amtsgerichts Tiergarten die Zeugen. Ein völlig mit sich beschäftigter großer, beleibter Herr in Anzug mit Schlips, eine junge, ansehnliche Türkin und ein redseliger Polizeibeamter in Zivil, der den optischen Vorzügen der Zeugin offenbar erlegen ist.

Es ist bereits kurz vor halb Elf, als eine junge, schnittige Rechtsanwältin um die Ecke biegt. Sie gibt sich als Vertretung zu erkennen. Heinrich L. stutzt, akzeptiert, dann fällt sichtlich einige Anspannung von ihm ab. Die Juristin ist in etwa genauso groß wie der Angeklagte. Einige Schritte abseits des Flurs stehen sich der kleine Mann mit dem flauschigen Oberlippenbart, der in seinem großen Anorak zu ertrinken scheint und die förmlich gestylte, schlanke Juristin gegenüber. Anwältin und Mandant suchen, sich auf ein sinnvolles Vorgehen einzustimmen.

"Auf keinen Fall!" platzt es aus Heinrich L. heraus, nachdem er aufmerksam seiner Verteidigerin gelauscht hat. "Der wollte mich umbringen!" Die Anwältin dringt gedämpften Tons in ihren Mandanten. Düsteres, dann resigniertes Schweigen. Nach einigen weiteren Worten ist man sich dann doch einig. Heinrich L. lässt sich ergeben wieder auf einem der Plastiksitze nieder. Die Strafrechtlerin sucht, mit Richter und Staatsanwältin das Gespräch. Die Prämissen sind klar: ein Geständnis und die glaubhafte Entschuldigung beim dem Geschädigten.

Ausgebremst und abgedrängt

Heinrich L., ein gelernter Friseur und Schriftsetzer, soviel ist bekannt, war im April vergangenen Jahres mit seinem Wagen auf der Berliner Stadtautobahn A111 unterwegs, als ihn nach eigenen Angaben ein anderer Verkehrsteilnehmer zu einem für ihn nicht ungefährlichen Manöver zwang. In der Folge soll der Mann ihn ausgebremst, die Geschwindigkeit bis aus 5 km/h gedrosselt haben, um ihm die Abfahrt von der Stadtautobahn zu verunmöglichen.

Heinrich L. traf den Kontrahenten später an einer Ampel wieder. Die Staatsanwältin am 14. Januar 2014: "Der Angeklagte klopfte an das Seitenfenster des Geschädigten und besprühte ihn, nachdem dieser das Fenster heruntergelassen hatte, mit Pfefferspray." Die Anklage lautet deshalb schwere Körperverletzung. Eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren bestraft wird.

Das erste Mal überhaupt

Der Angeklagte hat das Wort. Heinrich L. gibt sich erstaunt über sich selbst. "Es ist das erste Mal überhaupt, dass ich so ausgerastet bin", sagt er. Als einzige Erklärung für diese Entgleisung sieht Heinrich L. die Tabletten, die ihm sein Arzt verschrieben hat. Seit der Bypass-Operation nimmt er blutverdünnende Medikamente.

Als der Angeklagte sich über seine Erkrankungen im Detail zu verlieren beginnt, wird der Richter ungeduldig: "Das mit den Tabletten habe ich ja jetzt verstanden." Er fragt: "Aber warum fahren Sie denn überhaupt mit einem Pfefferspray herum?" Heinrich L. ist um eine plausible Antwort nicht verlegen. Da in letzter Zeit so viele Rentner überfallen würden, habe er sich mit Pfefferspray versorgt.

Das Geständnis ist da. Nun fehlt die weitere Beweisaufnahme und der Kniefall vor dem Opfer. Doch der Geschädigte ist zu dem Prozess, in dem es um sein unantastbares Recht auf Unversehrtheit geht, nicht erschienen. Staatsanwältin und Richter tauschen Blicke. Ein Ordnungsgeld gegen das säumige Opfer ist unvermeidlich.

Überraschung

Das Verfahren wird abgekürzt, die Zeugen werden entlassen. Jetzt geht es nur noch um das Strafmaß. 'Überraschung' heißt für den Richter bei der Verlesung des Registerauszugs des Angeklagten. 25 Einträge. Der letzte stammt vom Sommer 2011. Nichts Einschlägiges. Es ist offensichtlich nur ein Ausschnitt der Karriere eines passionierten Diebes und Einbrechers.

Nachdem die Bewährungshelferin des Angeklagten ein Loblied auf dessen Zuverlässigkeit gesungen und die Staatsanwältin dennoch eine im Strafvollzug zu verbüßende Freiheitsstrafe von zehn Monaten beantragt hat, darf Heinrich L. aufatmen. Der befürchtete Bewährungswiderruf kommt nicht. Der Vorsitzende Richter belässt es bei einer Bewährungsstrafe und verurteilt den 73-Jährigen wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, ausgesetzt auf vier Jahre. Der Führerschein soll eingezogen werden, die Ausstellung eines neuen innerhalb der nächsten vier Monate bleibt untersagt. Außerdem hat der Angeklagte 500 Euro in die Justizkasse zu zahlen.

Misstrauisch betrachtet der Richter den Angeklagten: "Sie erscheinen hier als ruhiger Herr, der sein Leben hinter sich hat. Das passt nicht recht zu dem Registerauszug." Er droht: "Wenn ich mich irre, dann können Sie Gift darauf nehmen, dass ich die Bewährung widerrufe!"

Game over

Auch der Geschädigte, der heute nicht erschienen ist, wird übrigens bestraft. Er bekommt ein Ordnungsgeld von 300 Euro aufgebrummt. Finanziell am empfindlichsten trifft es jedoch die Verteidigerin des Angeklagten. Gerade hat der Vorsitzende Richter ausgeführt, dass den auf Sozialhilfeniveau dümpelnden Angeklagten die 500 Euro wohl nicht "überstrapazieren" dürften, als die junge Juristin erschrocken aufblickt: "Wir haben den Antrag auf Beiordnung am Anfang vergessen."

Doch ein Prozess hat nun einmal eine unantastbare Form. Deshalb erklärt der Richter: "Jetzt kann ich's nicht mehr machen. Für mich ist die Sache jetzt erledigt." Etwas mitfühlender schiebt er auf Einwände nach: "Was geschehen ist, ist geschehen. Schön ist es nicht."

*Alle Namen in diesem Beitrag geändert.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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