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Gerichtsreportagen


Straffrei mit ADHS?


von C. Rockenschuh

19.03.2014, Berliner Landgericht, 32. SK
Prozess wegen Totschlags gegen den Stiefvater des im Herbst 2013 in Lichtenberg getöteten Daniel F. (2). Die Mutter des Angeklagten belastet ihren Sohn schwer. Ein psychiatrische Gutachten erklärt Mirko B. (27) für voll schuldfähig. Die Verteidigerin des Angeklagten reklamiert dagegen die ADHS-Erkrankung ihres Mandanten als potentiell steuerungs- bzw. schuldmindernd...
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Am heutigen Tag der Hauptverhandlung sollte eigentlich die Beweisaufnahme geschlossen werden. Auch das Urteil wurde bereits erwartet.Der Angeklagte Mirko B. Doch die Aussage der Mutter des Angeklagten Mirko B. (27) und die des psychiatrischen Sachverständigen Dr. med. Peter Finger (59) nahmen mehr Zeit in Anspruch als erwartet.

In der Summe zeichneten beide Aussagen ein recht plastisches Bild des Angeklagten. Das Bild eines Ich-bezogenen, wenig reflektierten, jähzornigen, jungen Mannes, dessen Leben schräges Stückwerk blieb.

Ein Schreikind

Die Vita des Angeklagten beginnt danach mit Defiziten. "Mirko war ein Schreikind", berichtet die Mutter. Die alleinerziehende Mutter zweier Söhne arbeitete als Kindergärtnerin. Laut Mirko B. nahm sie Antidepressiva. Mit dem getrennt lebenden Erzeuger der Jungen gab es offenbar konfliktfreie Kontakte.

Mirko B., der in der Schule keine Freunde hat, ist ein unruhiges, zappeliges Kind. Er kann sich nicht konzentrieren. Die Eltern müssen oft wegen ihm und seinen Kapriolen zur Schule. Als der unter ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) leidende 11-Jährige auf dem Schulflur blindwütig ein anderes Kind würgt, landet er mit Einverständnis der Eltern in der Kinderpsychiatrie Herzberge.

Mit Ritalin und Cannabis

Gedopt mit Ritalin und zeitweise auch einem stärkeren Sedativum bleibt Mirko B. dort zwei Jahre, davon sechs Monate stationär. Er besucht innerhalb der Anstalt die Schule, hat Therapiestunden und ist zwölf Jahre alt, als er entlassen wird. Als 'geheilt' und medikamentenfrei.

Mirko B. wird die Gymnasialtauglichkeit bescheinigt. Doch Abitur traut sich der Angeklagte nicht zu. Als er eine Realschule im Prenzlauer Berg besucht, geht es mit ihm laut seiner Mutter wieder bergab. Mit 13 Jahren beginnt er, Cannabis zu konsumieren, im Jahr darauf auch Alkohol. Mirko B. schließt, obwohl er vieles anfängt und eigentlich auch das Zeug dazu hat, nichts ab. Nicht die Realschule, nicht die Lehre als Mechatroniker. Er bleibt sprunghaft und unzuverlässig. Die Mutter wirft ihren Sohn, den Tagedieb, schließlich aus der Wohnung. Mirko B. kommt im Treberhaus Mitte unter. Als er 2012 die sechs Jahre jüngere Patrizia F.* mit ihrem Sohn Daniel kennenlernt, hat er bereits selbst einen kleinen Sohn, um den zu kümmern er sich nicht in der Lage fühlt.

Angst vor dem Sohn

Die Mutter von Mirko B., die während ihrer Zeugenaussage von ihrem Sohn in der Vergangenheitsform spricht, als sei er nicht im Raum oder bereits gestorben, stellt klar: "Ich selber habe Angst gehabt vor meinem Sohn!" Mirko B., dessen Meinung 'Gesetz war', hätte schnell die Nerven verloren. Sie wirft ihrer Schwiegertochter vor: "Patrizia wusste, dass Mirko schnell aggressiv wird. Sie hätte Daniel nicht mit Mirko allein lassen dürfen!"

Der psychiatrische Sachverständige Dr. med. Peter Finger hatte an der Schuldfähigkeit des Angeklagten keinen Zweifel. Eine schwere seelische Störung mit Krankheitswert konnte er nicht feststellen. Auch eine Suchtproblematik mit notwendiger Unterbringung im Maßregelvollzug sah der Sachverständige nicht gegeben.

'Seelisch abartig' mit ADHS

Die Einwände der Verteidigerin des Angeklagten, die Krankheit ADHS könne auf die Affekte ihres Mandanten Einfluss gehabt haben, wischte der Gutachter vom Tisch. Die Störung habe keinen Krankheitswert. Dr. Finger erklärte: "Er hat sich das zuzuschreiben. Mit Eintritt ins Erwachsenenalter hat er sich bewusst für Drogenkonsum entschieden."

In seinen Ausführungen blieb der Sachverständige Dr. Finger damit zur Sache etwas vage. Denn argumentativ überzeugend ausgeräumt werden muss der Einfluss von ADHS auf Schuld- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nämlich schon. So kassierte das Oberlandesgericht Hamm in einem Fall von gefährlicher Körperverletzung auf Revision des Angeklagten ein Urteil des Landgericht Bielefeld aus 2007. In seinem zweiten Leitsatz hieß es: "ADHS kann eine schwere seelische Abartigkeit i.S. der §§ 20, 21 StGB darstellen und die Steuerungsfähigkeit bei Begehung eines Straftat in rechtserheblicher Weise beeinträchtigen." (OLG Hamm, Aktenzeichen 3 Ss 461/07)

*Foto:
Der Angeklagte Mirko B. (27)
*Name v.d.R. geändert.


Update / Urteil:
Das Gericht verurteilte Mirko B. wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren. Der Angeklagte, so hieß es in der Urteilsbegründung habe den Tod des Kindes nicht gewollt aber billigend in Kauf genommen. Damit entsprach die Strafkammer weitgehend dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung des Angeklagten hatte erfolglos auf einen Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge plädiert.
zu den Beiträgen...



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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