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Gerichtsreportagen


Der letzte Schrei


von C. Rockenschuh

Mutter Lehmann lebt mit ihren drei modebewussten Töchtern 1895 recht opulent in bescheidener Umgebung nördlich des Alexanderplatzes. Frau Lehmann arbeitet als Putzfrau. Die Quelle des relativen Wohlstandes dieses Frauenhaushalts steht unter Strafe: schwere Kuppelei (§ 180 ff*). Nach Urteilsverkündung kommt es, trotz vorherigem Ausschluss der Öffentlichkeit, zum wilden Eklat....
08.03.2015

Atemberaubende Sanduhr-Silhouette, sparsame Frisur, ein freches, kleines Hütchen Die Barrison-Five, USAmit Gesichtsschleier auf dem Kopf - so zeigte sich die moderne Frau der Weltstadt Berlin um die Jahrhundertwende (1900). Während es die Gründer des Kaiserreichs in engen, schwarzen Beinkleidern krachen lassen, sich im Rausch bankrott investieren, fahren Frauen Rad, wandern in die USA aus, rauchen, organisieren sich in Frauenvereinen, fordern Wahlrecht. Die ersten höheren Töchter schummeln sich in den Universitätsbetrieb.

Unter jungen Frauen des ärmeren Berlin dieser Zeit etabliert sich dagegen als pubertärer Protest weit weniger mondän das 'Barrison-Kostüm'. Die incroyable 'Cindy aus Marzahn', die es sich leisten kann und will, trägt ein korsett- und knöchelfreies Kleid mit Ausschnitt und Rüschen sowie eine Art Eierwämer mit Bändchen auf dem lockigen Kopf.

Sie wohnt nahe des Alexanderplatzes und träumt ganz sicher von einer Karte für Der Wintergarten des Hotel Central Berlin Friedrichstraßedie 'Barrison-Sisters'. Die 'Fünf bösesten Mädchen der Welt' gastieren 1895 für acht Monate im 'Wintergarten' des Hotels Central an der Friedrichstraße. Die aus Dänemark stammenden, in den USA lebenden Varieté-Pionierinnen sind berühmt für ihre 'Pussy'-Performance. Mit "Do You Want To See ..." lüpfen die Damen darin Stück um Stück die Rocksäume ihrer Kleider vor dem Publikum, um final - lebende Kätzchen zu enthüllen, die in ihren selbst genähten Unterkleidern stecken. Eine Karte für die Barrison-Five im Wintergarten dürfte für die Putzfrauentöchter ungefähr so erschwinglich gewesen sein, wie heute ein Santana-Konzert in der O2-World für einen (redlichen) Hartz 4 Empfänger.

Doch mit den nächtlichen Sausen bei Lehmanns, wie bereits erwähnt, soll es laut Anklage nun vorbei sein. Dafür haben Nachbarn und insbesondere 'eine Nachbarin' gesorgt. Lona BarrisonDas Berliner Gericht wirft Frau Lehmann im Mai des Jahres 1895 vor, die Freier ihrer Töchter in ihrer Wohnung geduldet zu haben. Und das, obwohl sie wusste, dass ihre älteste Tochter unter Polizeiaufsicht stand.

Die Details dieser 'Orgien' mit Trinkgelage bleiben unbekannt. Denn der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Urteilsverkündung entnimmt der nun wieder beiwohnende Zuhörer, dass Frau Lehmann umsonst leugnete und das Gericht von ihrer Schuld überzeugt war. Die Angeklagte soll, so der Vorsitzende Richter, sogar selbst an diesen nächtlichen Partys beteiligt gewesen sein. Ein Jahr und sechs Monate Zuchthaus verhängte die Dritte Strafkammer gegen die überführte 'Zuhälterin', dazu fünf Jahre Ehrverlust.

Nun brachen alle vier Frauen nach der Urteilsverkündung lautstark in Tränen und Wehgeschrei aus und zwei Schwestern gingen mit Schirm und Fäusten auf die Hauptbelastungszeugin los. Ihr Verteidiger Dr. Richard Coßmann hielt nur mit Mühe eine seiner Mandantinnen zurück. "Du Lügnerin!", hallte diese blindwütig durch den Saal, während ihre Schwester auf die 'Denunziantin' mit dem Schirm eindrosch.

Dieser Vorfall brachte die Staatsanwaltschaft noch einmal auf den Plan. Wegen 'grober Ungebühr vor Gericht' beantragte sie für beide Frauen je drei Tage Lona Barrison Haft. Für eine der Beiden räumte der Kläger mildernd 'Erregung' ein, die andere wurde stehenden Fußes abgeführt.

Dies ermöglichte dem verurteilten 'Barrison-Double' noch einen letzten Auftritt. Von der Wache nur halbherzig eskortiert, riss die Verurteilte sich wiederholt los, um auf die Zeugin einzuschlagen. Da eine Verurteilung wegen 'grober Ungebühr' bereits erfolgt war, sah die junge Frau nun obendrein einem Verfahren wegen Körperverletzung entgegen.

Wer übrigens glaubt, dass die 'Barrison-Five' heute keine Schlagzeile mehr wert sind, irrt. Als Ogden's Own Distillery (USA, Utah) 2012 'Five Wives Vodka' (100% Gluten Free, ca. 17 Euro) auf den Markt brachte, verbot der Staat Idaho dessen Vertrieb. Grund: das Etikett zeigt, offenbar volksschädlich, ein Foto der Barrisons im Finale ihrer 'Pussy'-Nummer. - Fortschritt, so muss gefolgert werden, ist für manche einfach nur das banale Dahinplätschern von Zeit.

*Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1871, Nr. 24, Seite 127 - 205

Fotos:
Die Barrison-Sister
Der Wintergarten des Hotel Central am Bahnhof Friedrichstraße, Hermann Rueckwardt 1881
Lona Barrison, 1903, Fotograf unbekannt (mit Klick auf das Bild: vier der Barrison Sisters in "Mr. Cupid", Falk, Photo, N.Y. Photogravure Co.)
Five Wive Vodka
(Beitrag u .a.  nach einem Artikel aus der Berliner Gerichtszeitung 1895)



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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