sitemap
Hexenberg Ensemble Kanzlei Hoeniog

zur Startseite
Hier lasen Sie im Herbst 2007 in wöchentlicher Folge Axel Bussmers Debütkrimi "Ein bisschen Luxus".
Jeden Montag neu...

krimidebüt mit folgen...

zur Rezension...

Axel Bussmer, "Ein bisschen Luxus" (7/28)


Sie stiegen in den Fahrstuhl. Münchner schob einen Schlüssel in das Schaltbrett, drehte ihn um und drückte auf die Taste "- 2". Sie fuhren hinunter. Die Türen öffneten sich. Diana sah zuerst nur ein hellschwarzes Loch. Die Notbeleuchtung warf einen schwachen Lichtschein auf die kalten Betonwände, die, mit türgroßen Unterbrechungen auf beiden Seiten, sich ein gutes Dutzend Meter bis zur ersten Abzweigung ergossen. Die Luft war kühl und erstaunlich frisch.

"Alles Beton. Manchmal denke ich, die Architekten haben sich beim Bau ein Raumschiff vorgestellt und es dann in die Erde gerammt. Ich hoffe, Sie haben keine Platzangst?"

"Nein."

"Gut. Dann wollen wir mal." Sie gingen los. "Hier ist zwar nichts ausgeschildert, aber alle Ausgänge lassen sich von innen öffnen. Wenn Sie sich also verlaufen, müssen sie einfach nur die nächste Tür suchen. Die meisten, die hier unten sind, kennen sich allerdings aus."

"Wer?"

"Hauptsächlich die Hausmeister. Manchmal helfen ihnen auch Studierende und Angestellte Bücher, Arbeiten und Möbel runter zu transportieren."

"Arbeiten?"

"Ja. Hausarbeiten. Diplomarbeiten. Klausuren. Die sind hier alle gelagert. Kommen Sie mit."

Münchner ging mit sicheren Schritten den Gang weiter, bog einige Male ab und Diana lief ihm nach. Die Turnschuhe waren eine gute Entscheidung gewesen. Inzwischen hatte sie keine Ahnung mehr, unter welchem Teil der Universität sie sich befanden. Die Wände sahen alle gleich grau aus.

Der Gang endete in einem klassenzimmergroßen Raum mit Bretterverschlägen.

"Hier verstauben die geistigen Ergüsse von unzähligen Generationen Studierender der Rechtswissenschaft. Wenn kein Student Einspruch gegen seine Note erhebt, wird die Arbeit niemals wieder angesehen."

"Und wenn doch?"

"Begleiten wir eine arme studentische Hilfskraft hinunter und lassen ihn die entsprechende Arbeit suchen."

Diana stand vor einem Verschlag. Die Arbeiten lagen in knallvollen Regalen. Sie konnte kein System erkennen. Anscheinend waren sie einfach in die Regale gelegt worden. Wahrscheinlich von unten nach oben. Aber sicher war sie nicht.

"Das ist eines der Aufgeräumten. Manche haben die Arbeiten einfach in verschieden hohen Stapeln von links nach rechts an die Wand gelegt."

"Aber – wie soll da jemals irgendjemand eine Arbeit finden?"

"Wenn niemand fragt, ist es auch nicht nötig."

In anderen Räumen stapelten sich alte Stühle und Tische. Münchner zeigte ihr eine Sammlung alter Computer und kleiner Monitore. Sie liefen durch einen Heizungskeller.

"Im Winter werden hier die Segelboote der Universität abgestellt. Und die Boote von einigen Angestellten und Professoren."

"Fehlt nur noch eine Werkstatt."

"Haben wir auch. Sogar mehrere."

"Was gibt es hier nicht?"

"Ein Restaurant."

"Das wäre doch etwas."

"Einige Politik-Studenten planten vor Jahren, hier Filme zu zeigen. Damals scheiterte es an der Verwaltung."

"Wo?"

"Es gäbe mehrere Möglichkeiten. Zum Beispiel dieser Raum."

"Wow." Diana stand in einer fußballfeldgroßen Halle. Vielleicht war sie auch etwas kleiner, aber nach den engen Gängen erschien sie Diana unglaublich groß. Die Decke war bestimmt zehn Meter hoch. Vielleicht sogar noch höher. Die gegenüberliegende Wand war weit außerhalb ihrer Wurfreichweite.

"Es müssten nur Stühle, eine Leinwand und ein Projektor hingestellt werden.", sagte Münchner.

"Sie haben selbst daran gedacht?"

"Nicht Filme. Konzerte. Vielleicht auch einige Lesungen."

Ein leises Klacken ertönte. Räder, die über Beton bewegt wurden. Es vermischte sich mit zwei Männerstimmen. Diana konnte die Stimmen nicht erkennen. Es waren nur Laute.

"Woher kommt das?"

"Aus einem der angrenzenden Gänge. Es sind wahrscheinlich zwei Hausmeister, die etwas herunter gebracht haben."

Sie gingen weiter. Suchten Robert. Gleichzeitig zeigte Münchner Diana große Teile seines Reiches. Bis jetzt war jede, der er die Keller gezeigt hatte, beeindruckt gewesen. Denn hierhin kamen nur wenige Menschen. Nur wenige kannten die Gänge so gut wie er.

Einige Minuten später hörten sie ein Auto starten.

"Wo kommt das her?"

"Von da."

Sie gingen einen Gang hinunter. Langsam vermischte sich das kalte Neonlicht mit dem Tageslicht. Der Gang endete an einer Lieferantenanfahrt, wie sie auch bei Lagerhallen ist. Nur war diese Anfahrt an fünf Seiten von Beton umgeben. Die sechste Seite, die Ausfahrt, bestand aus einem Stahlgitter. Es war verschlossen. Ein Auto fuhr weg. Diana konnte nur die Farbe erkennen. Rot. Ein Kombi.

"Haben Sie das Auto erkannt?"

"Nein." Münchner hob bedauernd seine mächtigen Schultern.

"Gibt es hier irgendein Kontrollsystem?", fragte Diana und sprang von der Entladefläche hinunter. Mit einigen großen Schritten war sie am Gitter angelangt.

"Als die Universität in den Sechzigern gebaut wurde, dachte noch niemand an die heutigen Systeme."

"Schon klar, aber überall haben sie nachgerüstet."

"Hier war das niemals nötig. Frau Schäfer, das ist eine Universität und kein Hochsicherheitstrakt. Professoren und deren Mitarbeiter kommen und gehen zu jeder Uhrzeit. Seitdem die Bibliothek immer auf ist, gilt das auch für die Studierenden und die Besucher. Und die Mitarbeiter haben feste Dienstzeiten. Da ist oft sogar eine Stechuhr überflüssig."

Das Schloss bestätigte Münchners Ausführungen. Ein altes Sicherheitsschloss, das ungebetene Gäste abhielt und von einem Profi innerhalb weniger Sekunden geknackt war. Nur, warum sollte ein Profi dieses Schloss knacken?

"Wahrscheinlich wissen sie noch nicht einmal, wer alles einen Schlüssel hat.", flüsterte Diana.

"Theoretisch schon."

Aber praktisch hatte niemand mehr einen Überblick über die in den vergangenen Jahrzehnten herausgegebenen und zurückgegebenen Schlüssel, und noch weniger über die Nachschlüssel. Dann, vermutete Diana, könnte der Fahrer ein Angestellter der Universität, ein früherer Angestellter, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter oder jemand anderes gewesen sein.

"Glauben Sie?" Münchner ließ seine Frage in der Luft hängen. Seine Stimme klang dabei etwas ängstlich.

Diana schüttelte den Kopf: "Nein. Mit Roberts Verschwinden hat das wohl nichts zu tun." Sie grinste etwas: "Es ist halt spannender, als kalten Spuren zu folgen. Besonders, wenn ich noch nicht einmal eine auch nur halbwegs vielversprechende Spur habe."

Sie gingen wieder zurück in den Keller. Münchner führte Diana durch weitere Gänge und Räume.

"Zuerst dachten Robert Brandt und ich, dass der Bücherdieb einen der Türen von der Bibliothek in den Keller benutzt hatte. Ich erfuhr kurz nach Ostern auf einer Besprechung mit dem Rektor von dem Bücherschwund. Wir beschlossen da, die verschiedenen Wege zu erkunden. Denn insgesamt ist die Bibliothek gut gesichert. Es gibt mehrere schleusenartige Eingänge. Zwei, drei Leute könnten dort Bücher hinauswerfen. Aber das wäre zu auffällig. Die Fenster sind verschlossen und am Ausgang müssen die Leute die Bücher verbuchen."

"Kann man das System nicht umgehen?"

"Schwierig. In den Büchern sind Metallstreifen, die ein Signal auslösen."

"Hm." Diana hatte es schon öfters gehört. Meistens piepste es bei einem Professor, der etliche Bücher in seinen Armen hielt.

"Danach haben wir die Mitarbeiter anhand der Dienstpläne überprüft. Es war schwierig, die Zeit einzugrenzen, in der Bücher verschwanden. Bei einigen gelang es fast auf den Tag genau, bei anderen betrug die Spanne mehrere Wochen."

"Das haben Sie anhand der Zeit zwischen Rückgabe und neuer Ausleihe festgestellt?"

"Genau. Und dann die Zeiten mit den Dienstplänen verglichen." Münchner ließ resigniert seine Arme an seine Oberschenkel klatschen. "Nichts. Kein Beschäftigter war bei jedem verschwundenen Buch da."

"Und wenn es mehrere Diebe gibt?"

"Möglich. Jedenfalls hatten wir nicht genug in der Hand, um gegen einen oder mehrere Angestellte etwas zu unternehmen. Wir haben sie dann etwas genauer beobachtet. Ohne Ergebnis."

"Und da hatte Robert die Idee mit dem Keller?"

"Genau. Ich gab ihm schließlich die Erlaubnis, zu jeder Uhrzeit in den Keller zu gehen."

"Hatte er sie nicht?"

"Er hatte keinen Schlüssel."

"Was ja kein großes Hindernis ist."

"Stimmt.", sagte Münchner. "Jedenfalls begann Robert Brandt die unterirdischen Fluchtwege abzusuchen. Er verbrachte viel Zeit hier unten. Ihn hatte das Jagdfieber gepackt. Er wollte den Dieb stellen. Am besten auf frischer Tat. Er hatte sich wahrscheinlich folgendes ausgemalt. Er geht in den Keller und sieht den Dieb. Er folgt ihm. Der Dieb öffnet eine der in die Bibliothek führenden Türen. Zum Beispiel diese hier. Dann präpariert der Dieb das Schloss, damit er es auch von der anderen Seite aus öffnen kann. Oder er besitzt einen Schlüssel. Robert Brandt versteckt sich dann weiter hinten im Gang. Vielleicht hinter dieser Abbiegung. Er holt sich einen Stuhl, staubt ihn ab und setzt sich hin. Er wartet. Schließlich muss der Dieb wieder diesen Weg benutzten."

"Er könnte auch einen anderen Ausgang –"

"Lassen Sie mich meine Geschichte fertig erzählen. Also, er wartet hier. Nach einiger Zeit, Minuten, vielleicht sogar Stunden, öffnet sich die Tür und der Dieb schleicht mit einer Tüte voller gestohlener Bücher in den Gang. Er zieht die Tür hinter sich zu und atmet erleichtert aus. Er hat es geschafft. Er hat wieder gestohlen, ohne erwischt zu werden. Er geht pfeifend um die Ecke. Vielleicht ‚Beautiful day’ oder ‚What a wonderful world’. Er biegt um die Ecke und sieht einen auf einem Stuhl sitzenden Mann, der fröhlich sagt ‚Erwischt.’"

"Das klingt, als ob sie dabei gewesen wären."

"Nicht dieses Mal."

"Sondern?"

"Vor zwanzig Jahren suchte ich einen Einbrecher. Er brach in Wochenendhäuser ein. Nachdem er auch in das Haus meiner Eltern eingebrochen war, begann ich ihn zu suchen. Nach 41 Nächten hatte ich ihn."

"Aber sie haben nicht auf einem Stuhl sitzend auf ihn gewartet."

"Doch. Aber nicht vor dem Wochenendhaus, sondern in seiner Garage. Er fuhr in sie hinein und begann seine Beute auszuladen. Da warf ich mit einer leeren Cola-Dose nach ihm. Er drehte sich um und fragte, was ich in seinem Haus suche. Ich sagte: ‚Falsche Frage.’ Er sagte: ‚Ich rufe die Polizei.’ Ich sagte: ‚Zuerst gibst du mir meine Sammlung.’ Er sagte: ‚Welche Sammlung?’ Ich sagte: ‚Die WM-Sammelkarten.’"

"Sie sind Fußballfan?"

"Damals bedeuteten sie mir viel." Münchner lächelte. "Er gab sie mir und ich verschenkte sie einige Jahre später an einen Cousin. In der Garage hatte etwas anderes gefunden. Diesen Kick, den man nur spürt, wenn man ein sich selbst gesetztes Ziel aus eigener Kraft erreicht. Seitdem suche ich immer wieder nach diesem Kick."

"Sie haben Robert davon erzählt."

"Er wollte wissen, weshalb ich diesen Beruf ergriffen habe und keine Promotion schrieb."

"Und jetzt suchte er diesen Kick."

"Ich hoffe, ich bin nicht für seinen Tod verantwortlich."

"Egal, was er getan hat, es war seine Entscheidung - und die seines Mörders."

Münchner sah Diana zweifelnd an.

In der Menseria, so hieß die Uni-Mensa seit ihrem Umbau, holten sie sich ein Mittagessen, Rinderhacksteak mit Mais-Paprikasauce und Kartoffeln, und suchten sich einen Platz mit Blick auf den Bodensee.

"Wahrscheinlich erhält die Mensa nur wegen ihres Blickes immer die guten Noten für das Essen.", sagte Münchner.

"So schlecht ist das Essen nicht."

"Ich muss es fast täglich essen. Und seitdem die Arche zu ist, gibt es auch keine Möglichkeit, hier etwas anderes zu essen."

Diana nickte zwischen zwei Bissen.

Fünf Tische weiter stand Doktor Klaus Wieland mit einigen Männern auf. Anscheinend waren sie gemeinsam Essen gegangen. Wieland nahm sein Essenstablett in die rechte und die Süddeutsche in die linke Hand. Als er sich umdrehte und den Weg zur Tablettabgabe einschlug, sah er die Privatdetektivin mit dem Sicherheitschef reden. Er zögerte kurz: "Geht schon mal vor. Ich komme gleich nach."

Seine Freunde nickten und gingen langsam zur Tablettabgabe. Sie diskutierten weiter über die Folgen der vorgezogenen Bundestagswahl für die künftige europäische Politik. Wieland ging zu Diana Schäfer. Sie bemerkte ihn erst, als er vor ihr stand.

"Oh, Guten Tag, Herr Wieland."

"Guten Tag. Könnten Sie nachher in mein Büro kommen?"

"Haben Sie etwas Neues erfahren?"

"Ja. Einige haben auf unsere Mail geantwortet. Danach war Robert beim Seminar."

"Na, das ist doch schon etwas. Ich werde sie mir nachher ansehen. Geht es so in zehn, fünfzehn Minuten?"

"Natürlich. Ich bin den ganzen Nachmittag in meinem Büro."


Axel Bussmer beim Ausbrüten feinteiliger Straftaten (rein literarischer Natur)
AXEL BUSSMER
iM INTERVIEW


(mit ULrike Duchna, Franka Plaschke und Barbara Keller im AREMA/Moabit
vom 31.07.2007...)


Kanzlei Hoenig