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berlinkriminell.de
krimirezensionen ab 2003
Unionsverlag Taschenbuch 2016
ISBN 978-3-86789-184-4
14,90 €
Wieder
entdeckt: Rob Alef "Immer schön gierig bleiben"
von Susanne
Rüster
Lust auf einen
schrägen Berlin-Krimi? Leser*innen mit Spaß an
Satire, schwarzem Humor, überbordender Phantasie bis
zur Phantastik kommen voll auf ihre Kosten.
Mieten schießen in den Himmel,
Touristen überschwemmen Berlin, anonyme
Sushi-Lieferungen beunruhigen nicht nur eine
zahnmedizinische Fachangestellte, und Antigen,
Zusammenschluss Friedrichshainer Lobbyisten für eine
soziale Stadt, wird zum Zielobjekt der Kripo. Denn die
natürliche Feindin im Kampf um Wohnraum, eine
Immobilienmaklerin, wird erwürgt auf einem Friedhof
auf der Halbinsel Stralau aufgefunden. War der Täter
ein Stadtteilaktivist, ein Kunde, ein Konkurrent? Oder
reicht das Motiv weit in die Vergangenheit zurück?
Zehn Jahre zuvor wurde eine andere junge Frau ermordet -
auch sie nach Eintritt des Todes vom Mörder
schön geschminkt.
Zwei Leichen, ein Kommissars-Team,
unterschiedliche Verdächtige –
innerhalb des genretypischen Gerüstes lässt Rob
Alef Protagonisten mit sehr speziellen Charakteren
ermitteln: Hauptkommissar Pachulke, um die 60,
übergewichtig, Kriminalist mit genialen
Einfällen, aber ohne Lust auf Karriere, bastelt
Kunstwerke aus Büroklammern und sammelt manisch
Schallplatten. Der Kriminalassistent "zur besonderen
Verwendung" Dorfner, durchtrainiert, von schlichtem
Gemüt, haut zu gern drauf. Daher muss er jetzt Akten
durchsehen und hat Ausgang nur mit der Kollegin.
Hauptkommissarin Zabriskie, charismatisch, attraktiv, hat
außer für ihren Beruf eine Vorliebe für
Männer und Highland Park Single Malt Whisky. Und dann
sind da noch die Kommissare Bördensen (Chaot,
Hertha-Fan, liebt Dienst nach Vorschrift und sein
Familienleben) und Stiesel (rothaarig, sieht aus wie
fünfzehn, lebt bei der Mutter, rudert auf der Dahme
und liebt "Eisern Union" und die Alte Försterei).
Natürlich haust das Team nicht im üblichen
Büro, sondern in Containern im Hinterhof des
Polizeipräsidiums, in denen sie sich einen
Relax-Bereich mit Luftmatratzen und aufblasbarem Pool
eingerichtet haben.
Pachulkes Team macht sich auf die Suche
nach dem Mörder. Der Fall zeigt
überraschende Wendungen und in ihrer
Alltäglichkeit köstlich beschriebene
Nebenfiguren, deren Rolle sich erst beim fortgeschrittenen
Lesen erschließt. Den zur Ermordung einer Maklerin
passenden Hintergrund bildet die problematische Berliner
Wohnsituation, der Kampf gegen explodierende Mieten und
die Vertreibung durch Luxusmodernisierung.
Die Gier von Hauseigentümern macht
auch vor den Kommissaren nicht halt. So wird Dorfner
gekündigt, weil durch sein Training am Sandsack und
das Abwerfen der Hanteln Putzflocken in die Teller der
darunter Wohnenden rieseln und eine Nachbarin durch seine
Kampfschreie Angstzustände erleidet. Auch bei
Zabriski wird der Boden unter den Füssen aufgrund
einer Eigenbedarfskündigung wackelig, und bei
Pachulke wackelt die Statik des Mietwohnhauses unter der
Last seiner Schallplatten-Sammlung. Bei einer Besichtigung
derselben Wohnung treffen sich ausgerechnet die beiden
leidenschaftlich verfeindeten Kollegen Zabriskie und
Dorfner, was zum Aufflammen bisher erfolgreich
bekämpfter amouröser Vorstellungen führt.
Pachulke mit seinem hervorragenden
Gedächtnis treibt die Handlung voran, als er sich auf
einer langen, detailliert und vergnüglich
beschriebenen Fahrt mit dem Bus 104 von Friedrichshain
nach Neukölln schließlich an einen
ähnlichen Fall mit einer geschminkten Leiche
erinnert. Die Ermittler drehen jetzt auf, und jeder
im Team trägt mit seinen besonderen Fähigkeiten
dazu bei, den Mörder zu finden.
Rob Alef nimmt sich gesellschaftliche
Auswüchse wie die Yuppisierung mit schwarzem Humor
und viel Ironie vor. Trotz Kritik an Gesellschaft,
Bürokratie und übersteigertem Besitzstreben
vermeidet der Autor völlig den erhobenen Zeigefinger.
Und er teilt satirische Seitenhiebe auch gegen die bunt
aufgestellten Friedrichshain-Aktivisten aus,
einschließlich eines spitz-humorvollen Blicks auf
die zur Schau getragene Gendergerechtigkeit.
Der Autor setzt zudem mit seinen
Ausflügen in die Welt der Phantastik noch eins
drauf: So ermitteln die Kommissare in der "Treptower
Halde", auf der die Stadtreinigung ihre Container
entleert. Auf den Müllbergen hat sich
mittlerweile eine Gegenwelt eingerichtet. Hier leben
Menschen nach eigenen Regeln in ihren aus Holz,
Gummireifen, Flaschen errichteten Unterkünften. Ein
surrealistisches düsteres Szenario. In einer
beklemmenden Szene sucht Zabriskie einen Professor auf,
der sich im - mittlerweile unter Müll begrabenen -
Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park eingerichtet hat.
Der "Augenmann" schafft es, die letzten visuellen
Eindrücke der Toten aus ihren Kontaktlinsen zu
filtern, so dass das Gesicht des Mörders erscheint.
Ein so skurriler Einfall, dass man nur noch staunt.
Der Stil Rob Alefs ist anspruchsvoll
und zugleich locker bis teilweise salopp, die Geschichte
lässt sich flüssig lesen, erfordert aber
Aufmerksamkeit, will man die schwarzhumorigen
Geistesfunken des Autors gebührend genießen.
Fazit:
"Immer schön gierig bleiben” ist ein
satirischer Krimi mit hohem Unterhaltungswert.
Liebhaber*innen des klassischen Ermittlerkrimis
müssen allerdings wegen des teilweise nicht
realistischen Plots, der - zugunsten bissig-ironischer
Beobachtungen - streckenweise geminderten Spannung und der
eingeschränkten Praxistauglichkeit des skurrilen
Kommissariats-Teams kleine Abstriche machen. Wer aber
offen ist für die Seitenwege des Krimigenres, kann
hier lachen, staunen, erschrecken, und wieder lachen.
Der Volljurist und freiberufliche
Rechtshistoriker Ralf Oberndörfer hat sich nach
diesem 4. Pachulke-Krimi im Jahr 2019 vom Pseudonym Rob
Alef verabschiedet und veröffentlicht wieder unter
seinem Namen andere Texte.
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Eigenwerbung!
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