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krimirezensionen ab 2003

 

John Grisham
"Das Manuskript"
Heyne 2020,
(Originalverlag: Doubleday)
ISBN 978-3-453-27306-1
22,00 €

Ein ganz anderer Grisham

von Susanne Rüster


Der Hurrikan Leo steuert mit vernichtender Gewalt auf Camino Island vor der Nordküste Floridas zu. Die Inselbewohner fliehen aufs Festland, doch der Buchhändler Bruce Cable bleibt trotz der Gefahr vor Ort. Leos Folgen sind verheerend, mehrere Menschen sterben. Auch Nelson Kerr, Thriller-Autor und Freund von Bruce,   liegt leblos vor seinem Haus. Aber wurde Nelson wirklich von einem Ast erschlagen Bruce hat begründete Zweifel. - Ein unterhaltsamer Krimi um einen Buchhändler, der zum Detektiv wird. 

"Das Manuskript" ist die Fortsetzung von Grishams 2017 erschienenen Roman "Das Original". Das Geschäft des wohlhabenden Buchhändlers und Mäzen Bruce Cable "Bay Books" ist auch diesmal Treffpunkt von Autoren, Bücherfreunden, bunten Existenzen, die es auf die paradiesische Insel verschlagen hat, und es kommt zum Wiedersehen mit einigen bereits aus dem "Original" bekannten Figuren.

Fahndete damals die Schriftstellerin Mercer Mann nach gestohlenen Manuskripten von F. Scott Fitzgerald, so besucht sie als erfolgreiche Autorin Camino Island. Protagonist im "Manuskript" ist jetzt Mercers früherer Widersacher, der ausgeschlafene Buchhändler Bruce Cable - trotz seiner "Nebeneinkünfte" aus dem Handel mit literarischen Raritäten fragwürdiger Herkunft ein Sympathieträger.

Der große Star aber ist der ausgiebig in seiner zerstörerischen Zickzack-Tour beschriebene Hurrican Leo. Kurz vor seinem Auftreffen auf Camino Island veranstaltet Bruce Cable ein letztes Dinner für seine köstlich verrückten Autoren-FreundInnen. Das schöne sorgenfreie Leben ist vorerst beendet, das Schriftstellerparadies zerstört, das schillernde Insel-Flair verloren. Atmosphärisch sehr gelungen ist die Beschreibungen der Verwüstung Camino Islands und des mühsamen Wiederaufbaus.

Angesichts des Leiche Nelson Kerrs bekommt Bruce Zweifel, ob sein Freund tatsächlich durch herumfliegende Äste getötet wurde, wie die überforderte lokale Polizei annimmt. Kerrs Kopfverletzungen weisen auf stumpfe Schlaggewalt und einen kaltblütigen Mord hin, der unter dem Schutz des wütenden Leo vertuscht werden sollte. Aus Kerrs Computer wurde die Festplatte entfernt – ein Indiz, dass der Mord etwas mit dessen kurz vor der Veröffentlichung stehendem Manuskript zu tun hat.

Bruce geht auf Mördersuche, unterstützt von dem bei ihm jobbenden Literaturstudenten und Krimi-Liebhaber Nick (schlaue, unterhaltsame Figur) und dem befreundeten Autor Bob Cobb. Die Freunde verdächtigen eine sportlich durchtrainierte Frau namens Ingrid, die sich über einen One-Night-Stand mit Bob an Nelson Kerr herangemacht hat und dann verschwunden ist. Weiter kommen die Möchte-gern-Detektive erstmal nicht. Grisham schlägt ein gemütliches Erzähltempo mit vielen für ihn typischen, teils auch amüsanten Dialogen an.

Erst auf der Hälfte des Romans steigert sich das Erzähltempo und die Handlung nimmt Fahrt auf. Trotz einer überraschenden Wendung führt der Weg nicht in einen der vom Rechtsanwalt und Autor John Grisham in mittlerweile fast 30 Justiz-Thrillern so oft besuchten Gerichtssäle. Bruce und die Schwester des Getöteten beauftragen eine exquisite Detektei, um herauszufinden, warum Nelson Kerr sein Leben lassen musste. Mittlerweile kennt Bruce den Inhalt des Manuskripts - die Schwester Kerrs hatte noch eine Sicherungskopie (welch Zufall).

Ausgehend vom Inhalt nimmt die Detektei undercover Kontakt zu Insidern der beschriebenen Szenerie auf und ist bald überzeugt, dass Kerr einen Enthüllungsroman geschrieben hat, dessen Erscheinen um jeden Preis verhindert werden sollte. Grisham erzählt hier die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, sodass der Leser die Chance hat, in eine abgeschottete Welt zu blicken.

"Verraten" sei hier nur, dass es um eine menschlich und sozialpolitisch brisante Thematik geht, die nichts mit der Literaturszene zu tun hat.  Infolge des Eindringens der Detektive kommt es zu einem zweiten Mord an einer Whistleblowerin, den Grisham eher beiläufig abhandelt. Bruce selbst erhält von jemand, der die Hintergründe kennt, warnende Hinweise. Mit seinen Freunden Nick und Bob bleibt er trotzdem am Ball bis endlich die Hintergründe des Mordes an Kerr geklärt sind. Der Fall wird ans FBI abgegeben, das die Früchte der verdeckten Ermittlungsarbeit ernten darf. Letzte Klarheit ins Dunkel bringt die Aussage eines sterbenden Bösewichts im Krankenhaus, umgeben von FBI, Staatsanwalt, Anwalt und Richter.

Resümee: Wer die ausgeklügelten Justizthriller John Grishams schätzt, kann enttäuscht werden. Die Thematik des "Manuskripts" hätte es verdient, zum Gegenstand eines typischen Grisham-Thrillers zu werden. Das Thema ist spannungsgeladen und verstörend und macht sehr nachdenklich. Hier wird es im zweiten Teil leider nicht tief genug behandelt, sondern eher nüchtern zusammengefasst. Auch trägt die Gestaltung des Romanendes durchaus hanebüchene Züge, es geschieht ein weiterer, für die Handlung nicht nötiger Mord. Immerhin sind die Auftraggeber des Mordes an Kerr entlarvt und das Verbrechen ist durch Festnahme bzw. Dahinscheiden der Bösewichte gesühnt.

Durchaus Lesegenuss bietet die Beschreibung des charmanten Filou Bruce Cable, der exzentrischen AutorInnen-Figuren und des - vor dem Auftreffen Leos - genussvollen Lebens auf Camino Island. Man fiebert mit dem Inhaber von "Bay Books" mit, der mithilfe seiner - in einem früheren zwielichtigen Geschäft geknüpften - Kontakte langsam Licht ins betrügerische Dunkel bringt. Die Verfasserin hätte sich gewünscht, dass auch dieser Krimi wie "Das Original" in der Literaturszene angesiedelt bliebe, insbesondere, weil Grisham mit einem sich langsam entwickelnden Literatur-Krimi auch andere Leserschichten anspricht. Entsprechend der Untertitelung ("Roman", nicht "Thriller") ist das Buch ein unterhaltsamer Roman mit Thriller-Elementen.


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