"Wenn Sie nichts Besseres zu tun haben...", bemerkt die Vorsitzende Richterin am Tag der Hauptverhandlung lakonisch. Diesen fast schon Standard gewordenen Satz an die Adresse der 'Journaille' kennt man schon. Kritisches Publikum ist lästig. Besonders Richtern, die - aus gutem Grund - nur dem Gesetz, der Wahrheit und sich selbst zur Rechenschaft verpflichtet sind.
Andererseits, verständlich, formt der fantasiebegabte Kopf natürlich schon die Schlagzeilen des nächsten Tages im Geiste: "Kaulsdorf - schon der erste tote Schwan!" oder: "Sie kannten keine Gnade: die Schwanenkiller von Kaulsdorf" oder auch: "Tierquäler stopften brütenden Schwan in Müllsack"…
Auch ein Lehrer, der am 20.10.06 mit seiner Klasse planlos durch die Flure des Moabiter Kriminalgerichts streift, hält eine Verhandlung, in der ein Schwan der Geschädigte ist, für belanglos. Süffisant lächelnd sucht er das Weite und nach 'stärkeren' Themen. - Aber wäre es nicht eigentlich das richtige Thema für seine Jugendlichen? Denn irgendwo, irgendwann fängt es doch an, das Überschreiten von Grenzen.
Auch für Thomas F. hat es längst begonnen, das Verschwimmen von Grenzen. Diebstahl, Erschleichung von Leistungen, Sachbeschädigung, ein Eintrag wegen Betäubungsmitteln. Zwei geringfügige Strafen saß er bereits ab. Und nun das.
Am Tag der Hauptverhandlung sind beide Angeklagte über alle Maßen reuig. Die ledigen Arbeitslosen beteuern jedoch, den Schwan im Glauben, er sei tot, entsorgt zu haben. Torsten K., der derzeit als Eineurojobber auch den Realabschluss nachholt: "Ich bin ein total tierlieber Mensch!" Der Schwan habe nach dem in Notwehr getätigten Schlag gegen den Kopf wie leblos dagelegen. Nein, seinen Hund, der dabei und natürlich angeleint war, will er nicht auf den Schwan gehetzt haben.
Auch Thomas F. sagt: "Wir haben einen Fehler gemacht." Dass der Schwan noch lebte, als sie ihn in den Container warfen, das findet er "eigentlich traurig". Aber der Schwan sei eben sehr aufdringlich gewesen und wollte an das Anglerfutter. Da hätten sie ihm gegen den Kopf geschlagen und das leblose Tier entsorgt.
Die Zeugen Heinz W. und Monika T. erzählen eine andere Version. Demnach wurden die Spaziergänger durch das heftige Flügelschlagen des Schwans aufmerksam. Ein weiterer Schwan sei hektisch am Ufer auf und abgeschwommen und ein brauner Hund aufgeregt um zwei Personen herum gesprungen, die einen sich heftig wehrenden Schwan in einen blauen Müllsack stopften. Heinz W.: "Dann verschwand der Herr mit dem Hund mit dem Müllsack und kam wenig später ohne ihn zurück."
Als Heinz W. und Monika T. die beiden jungen Männer auf das Geschehen ansprechen, entgegnen diese, sie wüssten nichts von einem Schwan. Die Spaziergänger suchen im Gebüsch nach dem Sack, finden ihn aber nicht. Daraufhin rufen sie die Polizei. Auch gegenüber der Polizei geben sich Torsten K. und Thomas F. ahnungslos. Sie wüssten gar nicht, was man von ihnen will, an einen Schwan erinnern sie sich nicht.
Die Polizei findet jedoch den noch lebenden Schwan in Müllsack und Container am angrenzenden Sportplatz. Die Feuerwehr wird gerufen, der Vogel samt Inhalt des Müllbehälters ausgekippt und zur Tierklinik gebracht. Doch der Schwan ist nicht mehr zu retten und wird eingeschläfert. - Nebenbei stellt sich heraus, dass das Tier in einem schlechten Ernährungszustand war, das brütende Schwanenpaar offenbar mit Ernährungsproblemen kämpfte.
Das Urteil: Beide Angeklagten sind schuldig, gegen das Tierschutzgesetz verstoßen haben, in dem es nach § 17 heißt: "Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder 2. einem Wirbeltier a) aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder b) länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt." – Konkret: "80 Tagessätze á 10 Euro für Torsten K., 100 Tagessätze á 10 Euro für Thomas F.
Nachsatz: Heinz W. und Monika T., die einige bürokratischen Mühen wegen ihrer Anzeige auf sich nahmen, kamen sich am Verhandlungstag aufgrund der seltsamen Resonanz etwas deplaziert vor. Monika T.: "Da muss man sich ja nicht wundern, wenn die Leute keine Anzeige erstatten." - Eine gemeinnützige Verpflichtung im Urteil zum Wohle von Tieren, sei es als Arbeitseinsatz oder finanziell, hätte den Angeklagten sicher nicht geschadet, meint 'berlinkriminell.de'.