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aus dem moabiter kriminalgericht


Mord in der Nachbarschaft


von Barbara Keller

14. März 2008. Moabiter Kriminalgericht. 40. Gr. Strafkammer.
Vorletzter Termin im Mordprozess gegen die serbisch gebürtigen Brüder Jozef St. (39) und Nedeljko St. (33).
(berlinkriminell.de berichtete) Den Männern wird vorgeworfen, am 3. September 2007 den 65-jährigen Lutz F. in seiner Wohnung am Paul-Lincke-Ufer ermordet zu haben, um ihn auszurauben. Für eine Beute im Wert von 6.000 Euro. Bereits eine Woche nach der Tat waren die Ermittler den mutmaßlichen Tätern über eine Handynummer und einen Beleg auf ihren Namen im Pfandleihhaus am Zoo auf den Fersen.
Bericht vom 07.03.2008
Bericht vom 18.03.2008 (Urteil)

Am Abend des 2. September 2007 gestattet sich Sebastian M. (29), von Beruf Musiker, einen Fernsehabend. Er ist allein, lümmelt auf seiner Couch, sieht zuerst Tatort und dann die US Tennis Open. Am nächsten Tag soll es mit seiner Freundin auf Urlaubsreise nach Bulgarien gehen.

Sebastian M., ein mittelgroßer, schlanker Mann mit schulterlangen, glatten, mittelblonden Haaren, ist ein Nachbar von Lutz F. Er wohnt im Hinterhaus in der zweiten Etage rechts. Lutz F. im rechten Seitenflügel in der dritten Etage links.

Das auf dem Hinterhof nicht ganz so noble Haus aus der Gründerzeit ist recht hellhörig. Immer wieder kommt Sebastian M. in den zweifelhaften Genuss, die Vorliebe seines kauzig fröhlichen Nachbarn Lutz F. für Schlager teilen zu müssen.

Panische Hilfeschreie

Am Abend des 2. September 2007, einem Sonntag, ist es jedoch zum Glück ruhig. Bis 0:40 jedenfalls. Dann plötzlich dringt aus der Nachbarwohnung neben Sebastian M. wilder Kampfeslärm. Er hört panische Hilfeschreie und klopft zunächst genervt und reflexartig gegen die Wand.

Dann wird ihm unheimlich. Er hört Gläser lärmen, etwas fällt um. Das alles dauert zwei bis fünf Minuten. Als der Musiker auch im Hof etwas klirren hört, schaltet er das Licht in seiner Küche aus, um im Schutz der Dunkelheit vielleicht etwas zu erspähen. In einer Anwandlung von plötzlicher Angst schaltet er das Licht jedoch wieder an.

Als Sebastian M. dann Schritte nun auf seiner Treppe hört, hofft er inständig, es sei ein couragierter Nachbar. Mit pochendem Herzen steht er hinter seiner Wohnungstür, während eine Person bis in seine Etage hochsteigt, dann aber zögernd wieder kehrt macht. - Dann ist der Spuk vorbei.

"Ich war nicht scharf darauf..."

Sebastian M. benachrichtigt nicht die Polizei. Er fährt wie beabsichtigt in Urlaub. Ihm bleibt erspart, neun Tage die Nachbarschaft eines Toten zu teilen. Als er mit seiner Freundin aus Bulgarien zurückkehrt, ist er für die Ermittler ein wichtiger Zeuge. Am 14. März 2008 erklärt Sebastian M. vor Gericht: "Ich war nicht scharf darauf, denjenigen kennenzulernen, der die Geräusche im Hof verursachte."

Am zweiten und dritten Tag der Hauptverhandlung gegen die mutmaßlichen Mörder von Lutz F., am 10. und 14. März 2008, sagen neben den Partnerinnen der Angeklagten auch ein Gerichtsmediziner, zwei Kriminalbeamte, eine Freundin des Getöteten und deren Tochter sowie ein psychologischer Sachverständiger aus.

Den Ausführungen des Gerichtsmediziners Sven Hartwig (31) zufolge wurde Lutz F. wahrscheinlich nach einem kurzen, heftigen Kampf am Boden liegend mit bloßen Händen brutal erwürgt. Das Opfer war vollständig bekleidet, trug zwei T-Shirts übereinander und eine Jeans. Lutz F., ein ansonsten mäßiger Trinker, soll laut gerichtsmedizinischem Befund zur Tatzeit recht betrunken gewesen sein.

Das verräterische Armband

Die Kriminalbeamten Udo K. (47) und Barbara B. (46) schilderten, wie die Ermittler den Tätern trotz fehlender DNA-Spuren so schnell auf die Spur kamen. Ein Zettel mit der Handynummer von Nedeljko St. und den Vornamen der Brüder auf der Kommode des Getöteten, ein von den Männern am Tatort verlorenes, blutbesudeltes Armband und nicht zuletzt eine Routinekontrolle der Beamten im Pfandleihhaus am Zoo, das einen Pfandbeleg über bereits am nächsten Tag durch die Männer versetzte Beutestücke zutage brachte.

Ein netter, hilfsbereiter, sich selbst genügender Mann sei Lutz F. gewesen, sagen die Zeugen übereinstimmend. Vielleicht ein bisschen geizig und etwas verschroben angezogen. Bei Gelegenheit zuweilen mit zu viel Schmuck am Leib. Eine Freundin, Marina R. (48), auf die der alte Herr (vergeblich) ein Auge geworfen hatte, erklärt: "Ich mochte das nicht. Dann sah er aus wie ein Macho."

Auch Eylem Ü. (19), die Freundin des Angeklagten Jozef St., bezeugt: "Der zog sich komisch an, war aber lieb." Dass Lutz F., wie Jozef St. jetzt behauptet, eine homosexuelle Ader gehabt hätte, die ihn in der Tatnacht reizte, bestätigt niemand. Und auch seine Freundin sagt: "Ich habe nichts gemerkt, nö."

Wegen Schulden Strom abgedreht

Aber dass ihr Arbeitslosengeld II beziehender Freund, von dem seine Schwägerin neidvoll klagte, er besitze Haus und Restaurant in Serbien, einen Berg voller Schulden hatte, 15.000 €, das bemerkte sie schon. Denn wegen der 1.200 € Außenstände bei Vattenfall, lebte das Paar schon geraume Zeit ohne Strom.

Am Morgen nach der Tat zwingt Eylem Ü. ihren verschlafenen Freund zu einem Termin bei Vattenfall, den ihre Mutter anberaumt hat. Zu beider Erstaunen zahlt Jozef St. die verlangte Rate von 500 € in bar.

Als der Sachverständige Dr. Bodo Schmock, Facharzt für Psychologie und Psychiatrie, seine Erkenntnisse zu den beiden Angeklagten vorträgt, beginnt Jozef St. überraschender Weise still zu weinen. Er holt sein Taschentuch hervor, tupft sich die Augen und scheint verstört und hilflos.

Langweilige Obduktion

Gerade noch hat er, während der Gerichtsmediziner die Verletzungen des von ihm Getöteten Lutz F. referierte und den möglichen Tathergang konstruierte, hinter der Hand prustend gekichert, mit seinem Bruder fröhlich getuschelt und ins Publikum gegrinst. Als gäbe es eben eine ganz besonders langweilige Schullektion.

Der biografische Werdegang der Brüder, der sich übrigens auf deren eigene Angaben stützt, führt nicht mit zwingender Folgerichtigkeit zu diesem Verbrechen, möchte man meinen. Beide wachsen in einem kleinen Dorf in Serbien unter fünf weiteren Geschwistern auf. Ab dem neunten, beziehungsweise fünfzehnten Lebensjahr als Halbwaisen, da ihre Mutter (Hausfrau) an einem Lungentumor stirbt.

Discohopping

Der Vater, der nach dem Tod seiner Frau zu trinken beginnt, verdient das Geld mit dem Verkauf von Federn. Jozef St. geht recht und schlecht zur Schule, Nedeljko St. wächst angeblich bar jeder Schulbildung als Analphabet auf und hilft gelegentlich in der Landwirtschaft. Anfang der 90er Jahre schlagen die Brüder in Berlin auf. Gemeinsam machen sie die Diskotheken unsicher. Nedeljko St., noch minderjährig, debütiert mit einem Diebstahl.

Während der jüngere Bruder dann schließlich eine Hotelfachfrau heiratet, mit der er sechs Kinder haben wird, lässt sich Jozef St. von seiner Ehefrau nach vier Jahren scheiden. Die türkische Frau, die er in einer Diskothek kennenlernt und mit der er zwei Kinder hat, lässt ihm angeblich zu wenig Freiheiten, sagt er. In den Jahren 2004 bis 2006 muss sich Jozef St. jeweis wegen der Delikte Beleidigung, Bedrohung sowie Körperverletzung vor Gericht verantworten.

Jozef und Nedeljko St. verdienen Geld auf dem Trödel und durch den An- und Verkauf von Autos dazu. Beide beziehen Arbeitslosengeld II. So dass Jozef St. nach eigenen Angaben 1.500 € monatlich und der Familie seines Bruders 3.000 € netto zur Verfügung stehen. Auf dem illegalen Automarkt auf der Kottbusser Brücke lernt Jozef St. im April 2007 sein späteres Opfer Lutz F. kennen.

Durchgedreht mit Rohypnol

Dass Jozef St. in der Tatnacht durch die Einnahme von 10 Tabletten Rohypnol, wie er angibt, den Genuss von einigen Bieren sowie einer halben Literflasche 30%igen serbischen Obstler (Birnenlikör) schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war, hält Gutachter Dr. Bodo Schmock für eher unwahrscheinlich. Da läge man mit Herzbeschwerden flach, sei nicht handlungsfähig.

Ein rechtlicher Hinweis der Kammer an die Angeklagten im letzten Drittel des Tages gibt dem Verfahren bereits eine gewisse Richtung. Richterin Gabriele Strobel macht Jozef St. darauf aufmerksam, dass auch eine Alleintäterschaft im Sinne des § 211 ins Auge zu fassen ist. An Nedeljko St. geht der Hinweis, dass für ihn § 259 der Hehlerei ins Blickfeld rückt. Im Falle die Kammer jedoch zu der Überzeugung kommt, er sei doch und anders als behauptet gemeinsam mit seinem Bruder in der Wohnung von Lutz F. gewesen, beim Stehlen gestört unter Mitnahme der Flaschen getürmt und von seinem Bruder durch Geschenke zum Schweigen animiert worden, soll auch eine Verurteilung wegen besonders schweren Diebstahls (§ 243) in Tateinheit mit Hehlerei in Frage kommen.

Die Beweisaufnahme wurde geschlossen. Die Plädoyers und das Urteil werden am Di., 18. März 2008, 9:15, Saal 704 erwartet.


NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Musiker Sebastian M. wohnte schräg links unter der Wohnung des Mordopfers Lutz F. und hörte in der Tatnacht Kampfesgeräusche sowie panische Hilfeschreie.
(re. Fenster Wohnung von Lutz F.)

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