Die Rummelsburger Weitlingstraße, erste Querstraße rechts hinter dem S-Bahnhof Lichtenberg, gilt als Hochburg der Rechtsextremen und ist seit Mitte 2006 auch als "No-Go-Area" verschrien. Hier richtete, im Haus Nummer 122, Anfang der 90er die
"Nationale Alternative" ihren Parteisitz ein. Nach einer längeren Ruhephase soll es in jüngster Zeit wieder zahlreiche Kameradschaften im Stile klassisch subkultureller Männerbünde mit Namen wie "Spreewacht" oder "Lichtenberg 35" geben.
Die
Weitlingstraße, die nach einem Lichtenberger Schulmeister benannt ist, der sich nach Vorgabe des Alten Fritz auf die Maulbeerbaumzucht verlegte und es im Jahr 1783 mit seinen 44 Maulbeerbäumen auf zweieinhalb Kilo Ertrag reiner Seide brachte, erfreut sich einigen gewerblichen Lokallebens.
No-Go-Area Weitlingstraße
So gibt es hier eine Goldschmiede, einen Koffer- und Taschenladen sowie ein Spirituosen- und Papiergeschäft. Im selben Eingang wie der Papierladen, in dem die Redaktion von
'in-berlin-brandenburg.de' so gern einkauft, befindet sich auch das Lokal "Bierkiste".
Die "Bierkiste" erfreut sich bekanntermaßen einschlägiger Besucherschaft, die Betreiber selbst sollen, Stand November 2006, Rechtsextreme sein. Hier in der Höhle des Löwen, nur 30 Meter entfernt, eröffnete Özer R., der seit 1993 in Berlin lebt, am 20. September 2005 seinen Imbiss.
Nach einem halben Jahr hat er seine Kundschaft etabliert. Das Geschäft beginnt, sich zu amortisieren. "Da fingen die Probleme an", sagt Özer R. Pöbeleien, Beleidigungen, Tätlichkeiten. Man habe ihm seinen Erfolg nicht gegönnt. Glaubt man Özer R., sind Ronny S. und Marcel E. in der Nacht des 9. September 2006 gezielt zu ihm herübergekommen, um ihn zu verprügeln.
Besuch von der 'Bierkiste'
Danach erschienen die betrunkenen Männer, von dem einer ein halbes Glas Bier mitbrachte, vor seinem Lokal. Sie stellten Tisch und Stühle für sich auf, die Özer R. um ruhestörenden Lärm zu vermeiden, bereits geräumt hatte. Dabei warfen sie einen Tisch mutwillig zu Boden.
Özer R. fürchtete Ärger und ging gar nicht erst vor den Imbiss. Doch die Männer riefen: "Kanake, bring uns zwei Bier." Daraufhin forderte Özer R. Respekt und machte die Beiden darauf aufmerksam, dass Bedienung nur noch im Lokal zu haben sei. Als Antwort erhielt er: "Was willst du hier, Kanake, geh zurück nach Kreuzberg." Als sich anwesende Kunden solidarisierten, eine ältere Dame die Polizei rief, eskalierte die Situation.
Die Worte 'Polenschlampe', 'Kanakenfotze' fielen. Dann versuchte Ronny S., Özer R. einen Faustschlag zu versetzen, traf jedoch nicht. Mit der rechten Hand suchte er Özer R., den er an die Wand drängte, mit dem Kinn nach oben zu drücken unterdessen er mit der linken seinen Finger schmerzhaft verdrehte. Später soll Ronny S. den Lokalbetreiber dann mit der inzwischen nach unten an den Hals gerutschten Rechten gewürgt haben.
'Polenschlampe', 'Kanakenfotze'
Marcel E., der zwischenzeitlich das WC aufsuchte, stieß, im Begriff zu flüchten, einen älteren Gast zu Boden. Als die Polizei erscheint, revanchiert sich Marcel E., nachdem er selbst unsanft zu Boden gebracht ist, mit "Heil Hitler" und dem Führergruß.
Soweit die Schilderungen von Özer R., der sagt, Kunden der "Bierkiste" hätten ihm nach diesem Vorfall mit dem Anzünden des Imbisses, sogar mit dem Tode gedroht. Schließlich gab Özer R., geschäftlich als auch privat völlig am Boden, den Imbiss auf.
Was sagen Ronny S. und Marcel E. zu den Vorwürfen? Beide räumen Beleidigungen ein. Die ausschlaggebende Provokation jedoch, die sei durch eine Beleidigung des Imbissbetreibers Özer R. erfolgt. Man sei in der Nacht des betreffenden Tages von der "Bierkiste" herübergekommen, wo man gemeinsam ein Fußballspiel zwischen FC Union und BFC verfolgte. Dort wollten sich die beiden Männer, die sich übrigens kaum kannten, in Ruhe unterhalten, weil es in der "Bierkiste" so laut war.
Nur im Rausch gekontert
Sie hätten zwei Bier bestellt, so Ronny S. und Özer R. sie darauf beschimpft. "Ich war so sauer", wiederholt Ronny S. mehrmals. Und ergänzt: "Ich wollte ihn zur Rede stellen, eine reinrauhen." Er habe Özer R. hochheben wollen, aber niemals würgen. Es sei im Rausch passiert.
"Am nächsten Tag bin ich zur Besinnung gekommen und habe mich bei ihm und seiner Frau entschuldigt", sagt Ronny S. Und auch Marcel E., der allerdings bereits einschlägig aufgefallen ist und derzeit eine Bewährungszeit verbüßt, verneint einen ausländerfeindlichen Hintergrund der Geschehnisse.
Wie denn der Führergruß und das "Heil Hitler" zustande kamen? Als die Polizeibeamten ihn zu Boden brachten, "da habe ich die ganze Härte der Polizei kennengelernt", berichtet Marcel E. Er regte sich so sehr über die Beamten auf, dass er schimpfte, das sei ja "wie bei der Gestapo".
Ja, und aus der Ironie heraus habe er dann salutiert und "Heil Hitler" gerufen. "So, als ob Charlie Chaplin sich zum Kasper macht", sagt Marcel E. Als der Vorsitzende Richter in Bezug auf die Bewährung, die nun als abzusitzende Haftstrafe zur Disposition steht, auf die finstere Sozialprognose von Marcel E. zu sprechen kommt, beeilt sich dieser seine "geänderten Lebensverhältnisse" herauszustellen.
Seit zwei Jahren in einer festen Beziehung, sei er viel mit den Kindern zusammen. Der Teilzeitjob, die Ausbildung und die Familie ließen ihm gar keine Zeit mehr zu solchen Eskapaden. Man sähe ja, was dabei herauskommt.
Am nächsten Tag der Hauptverhandlung werden diverse Zeugen zu den Vorkommnissen am 9. September 2006 zu hören sein.
(Termin wird im hier auszugsweise veröffentlichten Wochenplan rechtzeitig genannt.)