Mit Beschluss vom 11. Januar 2006 und ein Jahr nach Urteilsverkündung kassiert der Bundesgerichtshof das Urteil der oben genannten Berliner Schwurgerichtskammer. Die Begründung: die Ausführungen der 22. Großen Strafkammer zur Entstehung des Brandes litten an eklatanten Darstellungsmängeln.
Am 15. März 2006 hebt daraufhin die 35. Große Strafkammer unter Vorsitz von Ralph Ehestädt den Haftbefehl gegen Monika de M. auf. Die Begründung: die von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verfahrensverzögerung zum einen. Zum anderen sei von einer weiteren Hauptverhandlung eine Klärung der Vorgänge der mutmaßlichen "Tatnacht" auch nicht mehr zu erwarten, ein Freispruch unabdingbar.
Freispruch, aber wie
Ergo bleibt nur noch die Couleur dieses Freispruchs zu ermitteln. Ist Monika de M. von jeder Schuld frei zu sprechen oder im Zweifelsfall für die Angeklagte zu entscheiden, in dubio pro reo? Freispruch erster oder zweiter Güte?
Die jetzt zuständige 29. Große Strafkammer beauftragt daher vorab und vor Neuverhandlung einen weiteren, möglichst unparteiischen Brandgutachter. Die Wahl fällt auf die Wiesbadener Brandsachverständige und Diplomingenieurin Silke Löffler (48) vom Bundeskriminalamt.
In ihrem Gutachten kommt die 'Drittsachverständige' im Ergebnis ihrer Untersuchungen im Dezember letzten Jahres zu folgendem Schluss: "Als wahrscheinlichste Brandursache ist eine brennende Zigarette anzusehen, die einen Schwelbrand im Bett des Krankenzimmers auslöste." Hinweise für eine Brandstiftung durch Verwendung einer brennbaren Flüssigkeit hingegen "fanden sich überhaupt nicht".
Kein Hinweis auf Brandstiftung
Unter diesen Vorzeichen begann am 2. April 2008 die Neuverhandlung vor der 29. Großen Strafkammer, die einige Pressebeachtung und ein großes Publikum zeitigte. Anders als im Verfahren vor dreieinhalb Jahren trat die Angeklagte aus freien Stücken den Termin an. Sichtlich aufgeregt, aufgekratzt und aufgeschlossen.
Neben der Sachverständigen Silke Löffler waren auch drei Gutachter der Verteidigung angereist und die in der Kritik stehenden Sachverständigen des Landeskriminalamtes (LKA), Dr. Karel Allin und Egon Burrasch, erschienen. Doch wie von den Prozessbeteiligten vorab vereinbart und durch das Gericht verkündet, wurde dann nur noch die Gutachterin des BKA gehört.
In einem circa zwei Stunden dauernden Vortrag referierte die Gutachterin in klar verständlicher und anschaulicher Weise ihre 26-seitige Ausarbeitung, die in das bereits zitierte Fazit mündete. Dabei bediente sie sich eines Projektors, um ihre Ausführungen mit Hilfe von Fotos und Filmen plastisch zu machen.
Husch, da war die Decke weg
Zwei Filme mit Brandversuchen verdeutlichten, wie wenig Brennspiritus, laut LKA die Brandursache in diesem Verfahren, zum Zündeln taugt. Ein halber, dann auch ein ganzer Liter - auf einem Teppich aufgebracht - vermochten keinen Flächenbrand auszulösen. Die Flammen gingen in den gezeigten Versuchen schließlich irgendwann von selbst aus.
Darauf zeigte die Wiesbadener Kriminalbeamtin ein Video, das ihr von den Berliner Brandsachverständigen ausgehändigt worden war. Anhand dieses Streifens dokumentierte Löffler, dass die Brandspuren nur eine Erklärung zuließen: das Brandopfer Theo de M., ein passionierter Kettenraucher, habe mit einer unsachgemäß entsorgten Zigarette einen Schwelbrand erzeugt, der dann zu einem Flash-Over, einer Durchzündung des Gasgemischs mit den bekannten, tragischen Folgen führte. Löffler: "Im Schlafzimmer muss es einmal 'Husch' gemacht haben, da war die Decke weg."
Fluppe mit Schwelbrand
Nicht einen Brandherd mochte die Sachverständige Löffler ausmachen und die von den LKA-Ermittlern behaupteten Brandausbruchstellen führt sie nachvollziehbar ad absurdum. Schlüssig auch im Timing des Ereignishergangs war allein die Version eines Schwelbrandes.
Die Ausführungen der Kollegin vom BKA verfolgten die Berliner Ermittler Dr. Karel Allin und Egon Burrasch mit regloser Miene. Mancher Zuhörer wird sich gefragt haben, warum die Berliner Sachverständigen ihre Ausführungen während der ersten Hauptverhandlung so wenig transparent machten und warum die Schwurgerichtskammer unter Vorsitz des Richters Peter Faust dies nicht verlangte.
Wie konnten aber, wenn die Ausführungen der Wiesbadener Sachverständigen stimmen, die Berliner Gutachter, wie sie in der ersten Hauptverhandlung ausführten, in allen 17 am Unglücksort genommen Proben Brennspiritus von eklatanter Menge nachweisen?
Die Sachverständige Löffler sagt dazu: "Es gibt keine vernünftige Erklärung hierfür." Es widerspräche allen ihren Erfahrungswerten. Und setzt dann hinzu, das hätte auch ihre Berliner Kollegen "stutzig machen müssen". Zumal ihre Ergebnisse in keiner Weise mit den Brandspuren vor Ort in Einklang zu bringen gewesen seien.
Überall Sprit
Angesprochen auf das Phänomen, das Berlin innerhalb von fünf Jahren – nach eigenen Angaben des LKA - 196 durch Brennspiritus verursachte Brände bescherte, erklärt die Gutachterin Löffler, diese Häufung sei bundesweit einzig.
Ohne hier auf die Details einzugehen, lassen sich die verdächtigen Ingredienzien wohl an jedem Ort in der einen oder anderen Konzentration nachweisen, weswegen das BKA, laut Löffler mit Vergleichswerten arbeitet. Die Sachverständige Löffler: "Warum? Weil sich heute viele Pyrolyseprodukte in den Haushalten befinden."
Nur das Berliner LKA arbeitet, auch dies bundesweit einmalig, mit einer festen Kappungsgrenze mit den bereits erwähnten Ergebnissen. - Hier noch nicht erwähnt wurden hingegen die
Opfer dieser geheimnisvollen Sprit-Obsession im LKA. Der jetzt verheiratete Programmierer Frank T. ist einer von ihnen. In Folge eines Brandes im März 2000 in seiner Wohnung wurde er, glücklich verliebt, beruflich erfolgreich und nicht versichert, ergo ohne Motiv, in erster Instanz als überführter Brandtsifter zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Später nach zähem Ringen in zweiter Instanz jedoch freigesprochen.
Das Schweigen der Lämmer
Auch Frank T. kämpft mit den für ihn verhängnisvollen Analyse-Ergebnissen der hiesigen LKA-Sachverständigen und noch heute mit den psychischen sowie finanziellen Folgen des Fehlurteils. Als seine Frau ihn im Juli 2004 auf den Mordprozess Monika de M. aufmerksam macht, beschließt er zu helfen und bietet dem Schwager der Angeklagten, Rudolf J., sein bereits unfreiwillig gewonnenes Knowhow an.
Rudolf J., der wie ein Löwe für seine Schwägerin kämpft, besteht auf einen Freispruch erster Klasse für Monika de M. Aber er möchte auch der Sprit-Obsession am LKA ein Ende bereiten. Deshalb gibt er sich am 2. April 2008 nicht mit der für seine Schwägerin so günstigen Zeugenaussage der Sachverständigen Löffler zufrieden.
Er möchte vor den Augen der Öffentlichkeit die LKA-Gutachter hochnotpeinlichen Fragen aussetzen. Doch dazu kommt es nicht. Die Vorsitzende Richterin Angelika Dietrich lehnt den Antrag auf eine nochmalige Zeugenaussage der Beiden ab.
Damit wird das Verfahren planmäßig am
Mittwoch, den 9. April '08 (11:00, Saal 618) zu Ende gehen können. Gestern waren bereits die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage zu hören.
Staatsanwalt Josef Artiger, der sich, wie er sagte, in der glücklichen Lage schätzte, weder die Anklage geschrieben, noch am ersten Prozess teilgenommen zu haben, plädierte auf Freispruch. Da seines Erachtens jedoch Fragen offen blieben, "man sich auf die eine oder andere Seiten schlagen könne", beantragt er den Freispruch zweiter Klasse: in dubio pro reo.
Zweifel ausräumen
Der Rechtsanwalt der Nebenklage, der die Schwester der Angeklagten Marion de M. vertritt, eigentlich aber für dessen engagierten Mann Rudolf J. spricht, griff mit scharfen Worten die 29. Strafkammer an, die es sich mit der Anhörung ausschließlich einer Zeugin seines Erachtens zu einfach mache und damit ein "ordentliches Verfahren" verhindere.
Man müsse nach Ansicht der Nebenklage alle Gutachter hören, um sich ein Bild zu machen. Und die Frage sei zu klären, warum die Sachverständigen des LKA offensichtlich das Einmaleins der Brandermittlung nicht
beherrschten. Ein Seitenhieb ging auch an die Staatsanwaltschaft, die der Nebenklagevertreter in der Pflicht sah, den in der Familie der Angeklagten gesäten Zweifel jetzt auszuräumen.
Weiter am nächsten Mittwoch mit dem Plädoyer der Verteidigung und dem Urteil.