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Justizirrtum

"Ich habe gedacht, das ist ein Irrtum, das klärt sich auf"

- vom Gutachterschluder zum Fehlurteil, vom Unfallopfer zur 'Vatermörderin' und zurück -

von Barbara Keller

In der Nacht vom 18. zum 19. September 2003 verursacht ein Schwelbrand in einem Zweifamilienhaus am Uhuweg, Neukölln, einen Vollbrand. Der Schwelbrand wird ausgelöst durch eine brennende Zigarettenkippe des alten, bettlägerigen Herren Theo de Montgazon, der als Kettenraucher seine Zigaretten achtlos auf den Boden zu werfen pflegt. - Ein schludriges Gutachten machte aus dem Unglücksort einen Tatort, ein Fehlurteil aus Monika de Montgazon eine Mörderin.

Vier Jahre lang stand Monika de Montgazon (53) unter Verdacht, ihren Vater und das Haus aus Habgier und um eine Versicherungssumme von 200.000 Euro zu kassieren, angezündet zu haben. Sie verbrachte zweieinhalb Jahre unschuldig hinter Gittern, galt zwei Jahre als verurteilte 'Vatermörderin'. Hier nun ein Interview der am 9. April 2008 als unschuldig Freigesprochenen und damit vollständig Rehabilitierten.
(berlinkriminell.de berichtete)

Webseite von R. Jursic + Marion de M.
(Schwester/Schwager von Monika de M.)
... "Die Berliner Gefahr"



"Alles wird gut" - Interview mit Monika de Montgazon

Frau Montgazon, wie war das damals für Sie nach dem Unglück?

Ich war völlig durch den Wind. Es war ja alles verbrannt. Ich wohnte bei den Nachbarn, die wir seit Jahren kennen. Die haben mir wirklich geholfen. Freunde brachten mir Sachen, sagten mir, was ich tun soll. Zum Glück hatte ein Bekannter von mir gerade Urlaub und fuhr mich überall hin. Ausweis beantragen, Bilder machen lassen, zur Bank. Mein Bekannter sagte: 'Du musst die Versicherung anrufen und das melden'. Später wurde mir daraus ein Strick gedreht und das Mordmotiv gebastelt…

Drei Wochen danach stand die Kripo vor Ihrer Tür.

Ja, die holten mich ab. 'Würden Sie bitte mitkommen zu einer Aussage.' Dass ich die Sachen packen soll, das haben sie mir nicht gesagt. Erst in der Keithstraße erklärte man mir, ich sei jetzt festgenommen. Da habe ich gedacht, das ist ein Irrtum, das klärt sich auf.

Man hat Ihnen vorgeworfen, Ihren Vater mit Brennspiritus überschüttet, angezündet und später das restliche Haus angezündet zu haben.

Warum hätte ich ihn töten sollen? Das 'schnelle Geld von der Versicherung'? Haben Sie schon mal 'schnelles Geld' von der Versicherung erhalten? – Sterbehilfe? Als Arzthelferin auf diese Weise? So ein Unsinn! Theo war zwar totunglücklich, dass er nicht mehr laufen konnte. Aber er hatte keine Schmerzen, keine Luftnot. Vielleicht wenn mein Vater vor Schmerzen nicht mehr ein noch aus gewusst hätte. Aber ich muss ehrlich sagen: damit hätte ich gar nicht leben können.

Sie saßen zweieinhalb Jahre hinter Gittern. Erst in der JVA Lichtenberg, später in Pankow. Wie war das für Sie?

Am Anfang fiel ich wirklich in ein tiefes Loch. Dann die Trauer um meinen Vater. Vorher war ich noch gar nicht richtig dazu gekommen zu trauern. Kein Kontakt zu der Familie. Und als ich dann meinen Sohn endlich sprechen konnte: das Berührungsverbot. Das war das Schlimmste überhaupt. Wir durften uns nicht umarmen, küssen, nicht einmal die Hand geben. Als ich von diesem Besuch in meine Zelle kam, habe ich nur noch geheult.

Verließ Sie irgendwann der Mut?

Nein. Ich habe mit meinem Optimismus alle verrückt gemacht. Auch nach dem Schuldspruch. Ich wusste, ich bin unschuldig und dachte 'Alles wird gut!' Ich bin ja mit allen gut ausgekommen. Die Beamten haben mich korrekt und mit Respekt behandelt. Als ich völlig verzweifelt nach meinem Schuldspruch am 26. Januar 2005 zurück in die Anstalt kam, nahm mich eine Beamtin tröstend in den Arm.

Am 2. Juli 2004 begann dann der Prozess gegen Sie als mutmaßliche 'Vatermöderin'.

Ja, und ich habe mich auf den Prozess gefreut! Ich dachte, dann klärt sich endlich alles auf. Ich habe mir auch keine Gedanken um einen Anwalt gemacht. Schließlich war ich ja unschuldig. Auch mein psychologischer Gutachter hielt mich für unschuldig. Auch wenn er mir sagte, das könne er nicht so schreiben, weil er sonst nie wieder einen Auftrag für ein Gutachten vom Gericht bekäme.

Allerdings hatte Rechtsanwalt Dr. Peter Strathmeier vor Prozessbeginn in einer inoffiziellen Unterredung mit dem Vorsitzenden Richter Peter Faust bereits Entmutigendes in Erfahrung gebracht.

Das wusste ich nicht. Ich wusste ja so vieles nicht. Das hat mir dann später mein Schwager Rudi erzählt, dass der Strathmeier nach einer Unterredung mit Richter Faust zurückkam mit der niederschmetternden Nachricht: 'Da ist nichts mehr zu machen.' Und so war ja dann der Prozess auch. Richter Faust mit seiner vorgefertigten Meinung – alles eine einzige Farce.

Warum haben Sie eigentlich während Ihres ersten Prozesses erst so spät eine Aussage gemacht?

Ganz einfach. Ich hatte ja den Beamten gegenüber schon alles mehrfach erzählt. Und mein Anwalt sagte, ich könnte mich auch später einlassen. Das habe ich ganz zum Schluss dann gemacht. Aber da war ja eigentlich alles schon egal. Jetzt denke ich, ich hätte vielleicht ein Statement durch meinen Anwalt abgeben sollen…

Die 22. Strafkammer ging aufgrund des belastenden Gutachtens der Brandsachverständigen vom Landeskriminalamt von einem Verbrechen aus. Wie erklären Sie sich, dass das Gericht sich von Beginn an auf Sie eingeschossen hatte?

Keine Ahnung.

Hatten Sie eigentlich jemals Ihren damaligen Lebenspartner Karsten Sch., der ja einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Lebens hinter Gittern verbrachte, in Verdacht, den Brand gelegt zu haben?

So lange ich in Haft war nicht. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Heute frage ich mich allerdings schon, warum die Tür zu Theos Zimmer damals geschlossen war. Denn die war ja immer offen, damit wir meinen Vater rufen hören können. Charlie kam in jener Nacht nach (!) mir nach oben. Hat er vielleicht den Rauch gesehen und die Tür einfach zugemacht? Ich weiß es nicht…

Karsten Sch. hat sich in den von der Kripo abgehörten Gesprächen mit ihnen im Krankenhaus sehr widersprüchlich geäußert. Vor Gericht behauptete ihr Freund, er habe ihren Vater in der Brandnacht retten wollen, kam aber nicht in dessen Zimmer. In den Abhörprotokollen jedoch heißt es, er sei in der Brandnacht im Zimmer ihres Vaters gewesen und wollte ihn aus dem Fenster werfen, um ihn zu retten. Er fragte Sie damals besorgt: 'nicht dass die uns noch einen Mord vorwerfen'? Das klingt doch sehr konkret.

Ja, ich weiß auch nicht. Dass da nicht weiter nachgeforscht wurde, kann ich nicht nachvollziehen. Ihm soll ja angeblich das Motiv gefehlt haben, weil ich alles erbte. Aber wer mich kennt, der weiß: wenn ich was habe, haben die Anderen auch.

Was denken Sie über die Arbeitsweise der Brandsachverständigen des Landeskriminalamtes?

Es ist schon schlimm, dass das LKA so manipuliert. Ich könnte es nachvollziehen, wenn Richter Faust auf die Sachverständigen sauer wäre.

Die 22. Große Strafkammer hat Sie zu lebenslanger Haft verurteilt. Wie empfanden Sie die Strafkammer, wie den Vorsitzenden Richter Peter Faust?

Voreingenommen. Und dann glaube ich schon, dass Richter Faust die entscheidende Aktie an dem Urteil hatte. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die beisitzenden Richter, der Rosenthal, der ja immer schlief, oder Richterin Sy ihm irgendwie Paroli boten. Und die Schöffen, na ja…

Ich bin der Meinung, dass ich von Anfang an vorverurteilt war. Ich habe während des Prozesses oft gedacht: 'Was hat Richter Faust gegen dich? Der kennt dich doch gar nicht. Ich habe ihm doch überhaupt nichts getan.'

Hätten Sie eine Frage an den Vorsitzenden Richter der Kammer, die Sie verurteilt hat?

Ja. Ich würde ihn gern fragen, warum er mich verurteilt hat.

Frau Montgazon, Sie haben mir erzählt, ein Reporter hätte Ihnen vorgeschlagen, die Adresse von Richter Faust herauszubekommen, um ihn zu besuchen und einmal so richtig die Meinung zu sagen. Was halten Sie davon?

Nichts. Das ändert gar nichts. Ich kenne die Adresse von Richter Faust. In gewisser Weise verstehe ich ihn sogar. Wenn er sich jetzt sagen würde, ich habe da einen Fehler gemacht. Und der Fehler hat so weitreichende Konsequenzen. Dann hätte ich schon ein schlechtes Gewissen, würde mir Gedanken machen und könnte nicht mehr schlafen. Das kann ich mir schon vorstellen.

Was ich ihm allerdings nie vergesse: Den Transport in Handschellen am 11. April 2005 anlässlich eines Transportes zu einem Zeugentermin von der JVA Pankow nach Moabit. Der Termin war um 11:00. Es war eine klaustrophobische Fahrt, allein in einem großen Wagen, in einer nicht mal einen Quadratmeter messenden Kabine, die Hände gefesselt auf dem Rücken. Die Handschellen waren nicht üblich, nicht nötig und eine höchstrichterliche Anordnung von Richter Faust.

Sie standen vier Jahre lang unter Mordverdacht, verbrachten zwei Jahre unschuldig hinter Gittern, galten zwei Jahre als verurteilte Vatermörderin, ihr berufliches Leben ist völlig zerstört. Was halten Sie von unserem deutschen Rechtssystem?

Zum Glück habe ich erst nach dem Prozess das Buch von Rolf Bossi, "Halbgötter in Schwarz", gelesen. Hätte ich das vor dem Prozess getan, wäre mir nur noch schlecht gewesen. Mittlerweile bin ich soweit, dass ich sage: 'Man ist in diesem Land so lange schuldig, bis man seine Unschuld bewiesen hat.'

Was würden Sie ändern?

Ich halte es für gefährlich, dass Richter schalten und walten können, wie es ihnen gefällt und praktisch völlige Narrenfreiheit besitzen. Ich erwarte von einem Gericht, dass es neutral und offen für alle Beweise ist. - Ich frage mich außerdem, warum am Landgericht kein durchgängiges Protokoll, meinetwegen auch mit dem Tonband, geführt wird. Wenn ein Richter sich dann nur Notizen macht, die ihm gefallen…

Und Revision, das hat doch nichts mit Recht oder Wahrheit zu tun, wenn es da nur noch um einen Verfahrensfehler geht. Ich kann von Glück sagen, dass die Urteilsbegründung der 22. Strafkammer so schlecht geschrieben war. Sonst hätte ich gar keine Chance gehabt.

Ihnen wurden immer wieder sogenannte 'goldene Brücken' zu einem Geständnis gebaut. Am 6. Dezember 2004 bot Ihnen Richter Faust beispielsweise eine zeitige Haftstrafe, anstatt eines 'Lebenslang' gegen ein Geständnis an. Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, einfach ein Geständnis abzulegen?

Nie. Ich war ja unschuldig. Und ich war trotz allem optimistisch.

Wie ist das jetzt finanziell für Sie. Sie erhalten 11 Euro pro Tag Haftentschädigung und alle nötigen Auslagen von der Justizkasse erstattet. Zählen dazu auch die Kosten für Ihre sachverständigen Gutachter?

Ich hoffe, denn die unabhängigen Brandsachverständigen, die mich schließlich retteten, haben bislang keinen Pfennig gesehen. Wenn das nicht klappt, werden wir klagen müssen. Denn es kann ja nicht sein, dass ich wegen dieser Sache bis an mein Lebensende verschuldet bin.

Hat sich Ihre Lebenseinstellung mit dieser einschneidenden Erfahrung geändert?

Nein. Eigentlich nicht. Ich bin immer noch offen für alles Mögliche und optimistisch bin ich auch. Meine Familie hat außerdem zu mir gehalten. Und auch meine Freunde und Bekannten. Das war gut.

Was haben Sie als nächstes vor?

Wieder einen Job finden. Ich fange jetzt praktisch wieder bei Null an, mal sehen, wo…

(das Interview führte für 'berlinkriminell.de' C. Rockenschuh)


NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




gitter


Die Arzthelferin Monika de Montgazon wurde nach erfolgreicher Revision am 9. April 2008 vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Vier Jahre schwebte das Damoklesschwert des Mordvorwurfs über ihr, 888 Tage saß sie unschuldig in Haft.


Hier, in einer kleinen Wohnung in Neukölln, in der Einflugschneise zum Tempelhofer Flughafen, hat sich Monika de Montgazon nach lange ergebnisloser Wohnungssuche bescheiden eingerichtet.


Die Zelle der unschuldig Verurteilten* in der JVA Pankow, wo Monika de Montgazon auch die 'älteste Bankräuberin Berlins', Regina L., und die wegen Totschlags an ihrem Ehemann zu fünf Jahren Haft verurteilte Rita P. kennenlernte. ('berlinkriminell.de berichtete in beiden Fällen)

*Zeichnung einer Mitinsassin; zum Vergrößern auf das Bild klicken!


Dritter Antrag von Monika de M. mit Bitte um Aufhebung der Gesprächsüber-
wachung*.
Hier vom 4.09.2005, acht Monate nach Verurteilung an das Berliner Kammergericht. Darin heißt es: "Meine Psyche ist durch die lange zu Unrecht bestehende U-Haft, die mein bisheriges Leben kaputt gemacht hat, massiv angegriffen..."

*zum Lesen klick auf's Bild, (jpg, 770 kb)

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