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aus dem moabiter kriminalgericht


Sauftour mit Flurschaden


von Barbara Keller

26. September 2008. Amtsgericht Tiergarten. Abt. 240
Andreas H.* (44) erhielt wegen gewalttätiger Eskapaden im Schöneberger Lokal "Karussell" während einer spätnächtlichen Sauftour am 24. Juli 2007 einen Strafbefehl über 1.050 Euro. Laut Anklage schlug er wegen einer Meinungsverschiedenheit mit seinem T-Shirt auf seine Begleiter ein, warf mit Stühlen, Tischen und griff schließlich in wilder Wut zur Registrierkasse als Wurfobjekt. Andreas H.* legte gegen den Bescheid Widerspruch ein und muss sich ein Jahr später vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten.


Dienstag, der 24. Juli 2007. In lauer, später Nacht, gegen fünf oder sechs Uhr, beehren drei bereits angetrunkene, männliche Personen das Schöneberger Bierlokal "Karrussell". Sie ordern Bier, unterhalten sich angeregt und geraten wenig später aneinander.

Einer der drei Männer, es ist Andreas H.*, geht auf die Toilette. Er kehrt entblößt, mit freiem Oberkörper zurück und stürzt sich unvermittelt, mit seinem Hemd um sich schlagend, auf seine Begleiter. Stühle, Tische fliegen. Der Barmann versucht zu beschwichtigen. "Kinder, Ruhe hier!", brüllt er.

Doch Andreas H.* hat sich bereits der Registrierkasse bemächtigt, die er nach dem Kellner wirft. Der verdutzte Mann kann gerade rechtzeitig beiseite springen. Als Andreas H.* daraufhin in die Kneipe gegenüber flüchtet, ruft der Barmann die Polizei. Andreas H.* wird dingfest gemacht. Der Rest ist Selbstläufer, weil Offizialdelikt.

"Ach was, kostet ja nix", sagte sich wohl Andreas H.* Relativ gelassen sitzt der etwas verlebte Schöneberger neben seiner adretten, blutjungen Rechtsanwältin. Andreas H.* in Nikotingeruch verströmenden Jeans, knitterig beiger Windjacke und kurzem, naturgegeltem Haar. Neben ihm die schlanke, blonde Strafrechtlerin in makelloser Haltung und Kostüm.

Weil Andreas H.*, berufslos, arbeitsunfähig, lediglich Grundsicherung bezieht, wird ihm Prozesskostenhilfe zugesagt. Er kann sich zu seiner Verteidigung eine Pflichtverteidigerin leisten. Doch obwohl er vorab am Tag der Hauptverhandlung auf dem Gerichtsflur von dieser kompetent und sachkundig auf die einzig vernünftige Alternative hingewiesen wird, sich nämlich lediglich auf einen Einspruch bezüglich des Tagessatzes zu beschränken, will Andreas H.*, wie man erstaunt hört, aufs Ganze gehen.

Einen Freispruch fordert er, pocht auf verminderte Schuld. Einem Restposten spätvormittäglichen Testosterons angesichts seiner appetitlichen Rechtsvertretung ist wohl die trotzige Erklärung geschuldet: "Dann gehen wir eben in Berufung!" Dabei blickt Andreas H.*, seines mutigen Vorpreschens nun wohl doch nicht mehr so sicher, haarscharf an der überrascht dreinschauende Rechtsanwältin vorbei.

Drei Zeugenaussagen weiter und im Angesicht der geballten Autorität von Anklage und Richter gibt sich Andreas H.* dann doch rasch geschlagen. Er bekennt sich der versuchten Körperverletzung schuldig und willigt in ein Strafmaß, das ihm lediglich 700,00 Euro, zahlbar in kleinen Dosen, abverlangt.

Ob Andreas H.* noch einen Gegenstand in sein T-Shirt einwickelte, um damit effektiver zuschlagen zu können oder wie der Richter mutmaßte, das Hemd nur eine Rolle Toilettenpapier enthielt, konnte nicht aufgeklärt werden. Ebenso blieb das Motiv des plötzlich mit solcher Vehemenz ausgebrochenen Konflikts im Dunkeln.

Eines jedoch liegt klar auf der Hand. Diese Tat war so überflüssig wie die anderen rund 30% aller in Berlin erfassten Straftaten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität, die durch Alkohol befördert oder ausgelöst sind. Darunter jährlich circa 34 erfasste Tötungsdelikte, 168 Vergewaltigungen, 4.217 gefährliche oder schwere und 9.558 vorsätzliche, leichte Körperverletzungen sowie 2.742 Nötigungen und Bedrohungen.

*Name von der Redaktion geändert


NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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