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aus dem moabiter kriminalgericht


Draußen vor der Tür


von Barbara Keller

21. November 2008. Moabiter Kriminalgericht. 1. gr. Strafkammer.
Thomas R. (47) ist angeklagt, die anfangs zwölfjährige Tochter seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht zu haben. Zwischen dem Sommer 1993 und dem 8. März 1995, sowie zwischen Juli 1997 und dem 8. März 1999 soll es wiederholt zu Übergriffen des Angeklagten auf Mandy L.* gekommen sein. Von Zungenküssen, Petting und Nötigung zu oraler Befriedigung ist in der Anklage die Rede. In einem Brief an die Staatsanwaltschaft bestreitet der Angeklagte die Tat. Doch trotzdem Thomas R. von einem Racheakt der heute 27-Jährigen spricht, hat er vor Gericht den Ausschluss der Öffentlichkeit durchgesetzt.

Urteil

Von diesem Prozess wird die Öffentlichkeit außer dem bloßen Urteil wohl so gut wie nichts erfahren. Bereits auf dem Flur lässt der Anwalt des Angeklagten vernehmen, das Verfahren würde eingestellt, weil die Geschehnisse so lange zurücklägen.

Doch einen diesbezüglichen Antrag stellt der Rechtsanwalt dann doch nicht. Stattdessen springt er nach Verlesung der Anklage wie von der Tarantel gestochen auf, um den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Zeit der Aussage seines Mandanten als auch während der Urteilsbegründung in spe zu beantragen.

Weder Staatsanwalt noch Nebenklagevertreterin wenden gegen den Antrag der Verteidigung etwas ein. Und der vorsitzende Richter der ersten großen Strafkammer, Reinar Mülders, stimmt nach kurzer Beratungspause diesem zu. Er begründet, zum Einen ständen die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten auf dem Spiel, zum Anderen lägen die Vorkommnisse ja schon so lange zurück.

Gericht überlastet

Dass das Verfahren erst drei Jahre nach Zulassung zur Hauptverhandlung stattfindet, erklärt Richter Mülders mit der chronischen Überbelastung der Gerichte, dass sich immer wieder frische Haftsachen dazwischengeschoben hätten und zuletzt die Nebenklägerin schwanger geworden sei.

Dann beantragt auch die Rechtsanwältin der Nebenklägerin mit Erfolg den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Zeit der Aussage ihrer Mandantin. Mandy L.* (27) sähe sich wegen übergroßer Nervosität nicht imstande, klare Aussagen über die Vorgänge im mutmaßlichen Tatzeitraum zu machen.

So viel darf die Öffentlichkeit dann noch erfahren: Richter Mülders verliest einen von Thomas R. unterzeichneten Brief an die Staatsanwaltschaft vom 29. Juni 2004, in dem sich der heute Angeklagte gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe verwehrt. "Ich habe nie sexuelle Handlungen an Mandy L.* ausgeübt", erklärt Thomas R. darin.

Alles nur ein Racheakt?

Das Ganze sei ein Racheakt seiner Stieftochter. Weihnachten 2003 habe sich die Familie gemeinsam mit dem damaligen Freund von Mandy L.* zusammengesetzt, um sich über alles unterhalten. "Seitdem haben wir ein ganz tolles Verhältnis", heißt es weiter und Mandy L.* täte alles sehr leid.

Richter Mülders fragt überraschend: "Ist es richtig, dass dieser Brief von Ihrer Frau Susanne S. verfasst wurde?" Der Angeklagte bejaht, setzt jedoch auf Anfrage hinzu, der Brief sei mit seinem Einverständnis entstanden.

Jetzt, zu Beginn des Verfahrens, möchte Thomas R. jedoch zunächst keine weitere Aussage machen. Über seinen Anwalt lässt er wissen, dass Erklärungen von seiner Seite erst nach der Vernehmung seiner Stieftochter zu erwarten seien. Dann werden Öffentlichkeit und damit auch die Presse gebeten, den Saal zu verlassen.

Ich kann das nicht mehr!

Mandy L.*, eine schmächtige, mädchenhaft wirkende junge Frau, betritt darauf den Saal. Die Aufregung ist ihr anzumerken. Aber bereits nach eine halben Stunde stürzt Mandy L.* weinend wieder heraus auf den Flur. Sie presst die Fäuste vor den Mund, starrt vor sich ins Leere und stammelt: "Ich kann das nicht mehr! Überall muss ich kämpfen. Hier muss ich kämpfen, da muss ich kämpfen. Ich kann das nicht mehr!"

Während die vor ihr kniende Rechtsanwältin Mandy L.* den Sinn der für sie teils peinigenden Fragen zu erklären sucht, kommt der vorsitzende Richter Mülders persönlich auf den Flur und bittet, die Verhandlung fortsetzen zu dürfen. Später wird Mülders über die Rechtsanwältin ausrichten lassen, dass sich die Hauptbelastungszeugin über die Mittagspause besser mit fester Nahrung kräftigen solle, um dem weiteren Vernehmungsprozedere stabil gegenübertreten zu können.

Die Hauptverhandlung besteht in der Folge hauptsächlich aus Rechtsgesprächen zwischen Strafkammer, Staatsanwaltschaft, dem Verteidiger sowie dem Rechtsbeistand der Nebenklägerin von Mandy L.*. In der Zwischenzeit schlagen sich Mandy L.*, der psychologische Sachverständige Jens Köhler und der Angeklagte Thomas R. auf dem Flur vor dem Gerichtssaal die Zeit um die Ohren.

Rechtsgespräche en gros

Möglichst weit weg von Mandy L.*, die außer Sichtweite immer wieder verstohlen um die Ecke lugt, schlurft Thomas R., die Schultern nach vorn gezogen, mit knarzendem Schuh unruhig umher.

Während der Mittagspause begegnen sich mutmaßliches Opfer und Täter im Nieselregen vor dem gegenüberliegenden Café. Die "Coffee Company" hält für die Raucher einen Tisch mit zwei Korbstühlen und zwei Stehtische bereit.

An dem einzigen Tisch haben sich Thomas R. und sein Verteidiger niedergelassen, um je bei einem Kaffee hastig ein paar Zigaretten zu nehmen. Als Mandy L.* mit ihrem Freund, der auch den Kinderwagen schiebt, an ihm vorbeikommen, begrüßt man sich, gibt sich geflissentlich die Hand. Dann betritt Mandy L.* das Café, wo ihre Rechtsanwältin bereits auf sie wartet.

Nichts mit der Sache zu tun

Nun hat der Verteidiger des Angeklagten Thomas R. bereits auf dem Flur verkündet: "Mein Mandant hat mit dieser Sache nichts zu tun!" Allerdings war auch zu hören, der Angeklagte sei einschlägig vorbestraft und der Staatsanwalt trotz mauer Beweislage nicht willens, das Verfahren einzustellen. Mehr als Mutmaßungen bleiben der Öffentlichkeit bislang nicht.

(*Name von der Redaktion geändert.)

Urteil vom 2.12.2008
Freispruch. Die für Recht erkennende Strafkammer konnte hinreichende Beweise eines stattgehabten Missbrauchs nicht ausmachen. Nachdem auch der Staatsanwalt auf Freispruch plädierte, wurde Thomas R. freigesprochen.

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Ähnliche Verfahren, in denen die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen war:



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Thomas R. soll vor 16 Jahren die damals 12-jährige Tochter seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht haben. In einem Brief an die Staatsanwaltschaft bestreitet er die Tat und erklärt, es handele sich um einen Racheakt.


Unter Auschluss der Öffentlichkeit sagt nicht nur Mandy L.* aus. Auch ihr mutmaßlicher Peiniger nimmt den Schutz seiner Persönlichkeitsrechte in Anspruch.



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