Einträchtig laufen die beiden kleinen Frauen auf
dem Gerichtsflur. Die eine mit Trippelschritten, die
langen Haare blondiert, die prallen Hüften verpackt
in einer knallengen Jeans. Die andere schlank,
kurzhaarig, burschikos. 22 Jahre Altersunterschied
trennen Mutter und Tochter Geyer*.
Die Mutter (41) muss sich vor den Richter setzen. Bevor
die Verhandlung beginnt, flitzt ihre Tochter noch einmal
zu ihr und flüstert ihr etwas ins Ohr. Vielleicht
will sie versichern, dass sie wirklich die Aussage
verweigern wird, was sie als Angehörige darf. Doch
Menschen, die keine Verteidiger sind und dennoch mit
Angeklagten flüstern, sehen Richter nicht gern.
Cordula Geyer soll ihre damals 18-jährige Tochter
in der Wohnung eingeschlossen und - als diese die
Wohnung verlassen wollte - am Arm festgehalten haben.
Jessica erlitt Kratzwunden.
"Tja", sagt die Angeklagte unwillig: "Ich werde mich
wohl mal dazu äußern." Die arbeitslose
Verkäuferin registrierte an jenem
Spätsommertag ein Loch auf Opas Konto: Jessica
hatte zuvor die EC-Karte aus dem Portemonnaie ihrer
Mutter entwendet. Weil die Tochter kein
Unrechtsbewusstsein zeigte, sollte sie "in ihr Zimmer
gehen und darüber nachdenken." Doch Jessica wollte
keine Erklärung abgeben, sie wollte das Haus
verlassen.
Cordula Geyer verschloss die Wohnungstür von
innen. "Aber Jessicas Zimmer nicht, sie konnte sich frei
in der Wohnung bewegen, ohne, dass ich sie angefasst
habe", sagt die Angeklagte.
So unterschiedlich Mutter und Tochter auch aussehen,
beide sind stur und uneinsichtig. Als die Polizei
eintraf, die Jessica per Handy alarmiert hatte, rief
Cordula Geyer den Beamten zu: "Alles Quatsch, Sie
können wieder gehen!" Nicht einmal ihren Namen habe
sie den Polizisten sagen wollen, sagt einer der Beamten
vor Gericht. Durch die geöffnete Wohnungstür
sah er die Mutter und ihre vier Kinder: In der
hintersten Reihe und zurück geschubst von ihren
drei jüngeren Geschwistern reckte sich Jessica und
versuchte, die Aufmerksamkeit der Polizisten auf sich zu
lenken. "Eines der Kinder wollte den Hund auf uns
hetzen", sagt der Zeuge. Er habe seine Pistole ziehen
müssen – "Wegen nichts!"
Sein Kollege, der selbst Kinder hat, wollte mit Jessica
reden: "Eigentlich waren wir auf der Seite von Frau
Geyer, aber sie hat uns keine Gelegenheit gelassen." Es
habe sich ein heftiges Wortgefecht entsponnen, dann
hätten die Beamten der Mutter Handschellen
angelegt, um Jessica den Abzug zu ermöglichen. Als
diese draußen im Hausflur ihre Schuhe anziehen
wollte, schritt ihre inzwischen wieder entfesselte
Mutter ein. Mit den Worten: "Die habe ich bezahlt!"
schmiss Cordula Geyer die Treter in ihre Wohnung.
"Sind Sie der Meinung, alles richtig gemacht zu haben",
fragt der Richter die Angeklagte. Sie habe falsch
reagiert, antwortet die Befragte. Aber schließlich
habe Jessica damals fast 500 Euro abgehoben. Für
das Geld sei Cordula Geyer als Betreuerin ihres Vaters
verantwortlich. Vier Monate herrschte Funkstille
zwischen Mutter und Tochter. Weihnachten saßen sie
wieder gemeinsam unter dem Tannenbaum.
Man könne eine 18-Jährige nicht dazu zwingen,
in der Wohnung zu bleiben, sagt die Staatsanwältin
und bezeichnet das Verhalten der Angeklagten als
Selbstjustiz. 525 Euro Geldstrafe (35 Tagessätze)
soll Cordula Geyer zahlen. Das sieht der Richter
genauso. Sie hätte sich das Ganze sparen
können, wenn sie gegenüber den Beamten nicht
so seltsam aufgetreten wäre. Er empfiehlt: "Sie
sollten Ihre Außenwirkung prüfen!"
Ob Cordula Geyer das Urteil annehmen wolle, fragt der
Richter zum Schluss. Er erntet ein bockiges "Weeß
ick nich".
* Namen geändert