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Gerichtsreportagen


Ein unmoralisches Angebot


von Barbara Keller

Fr., 28.05.2010, 40. gr.SK
Ja, wie denn nun? Nach einem weiteren Prozesstag und weiteren Zeugenaussagen scheint der Fall Ulrich T. aus dem Segment der Immobilienbranche und der Sparte Auftragsmord wieder unklar. Dabei ließen die Erklärungen des Hauptbelastungszeugen Andreas D., des von Ulrich T. angeblich anvisierten Auftragsmörders, am ersten Tag der Hauptverhandlung kaum eine andere Deutungen zu. Danach gab der Unternehmensberater Ulrich T. (40) Ende 2008 die Entführung und den Mord seines ehemaligen Arbeitgebers, Vorstand der ESTAVIS AG, in Auftrag, weil der ihn ohne Angabe von Gründen zuvor von einer Minuten auf die andere gekündigt hatte und sein mit Firmeninterna angestrengter Erpressungsversuch gescheitert war.
('berlinkriminell.de' berichtete)

Doch am vergangenen Verhandlungstag relativierten die Aussagen ehemaliger Kollegen, Bekannte und der Schwester des Angeklagten das bislang entworfene Bild entscheidend. Böse Töne aus der Chefetage wie "er besuchte mindestens einmal täglich Pornoseiten", "er war überheblich", "er war während der Arbeit mehrfach betrunken" und "er galt ganz einfach als faul", widersprachen Arbeitskollegen und die Geschäftsführung selbst.

So erklärte ein Abteilungsleiter des Unternehmens: "Er war umgänglich, freundlich, hatte Humor. Man plauderte gern mit ihm." Alkoholisiert wurde der Angeklagte von ihm auf Arbeit nicht erlebt. Der Zeuge sollte in der noch jungen ESTAVIS ein funktionierendes Rechnungswesen installieren. Ulrich T., noch in der Probezeit, war angehalten, ein professionelles Controlling einzuführen. Der Abteilungsleiter Rechnungswesen schätzte sich glücklich, mit Ulrich T. "endlich einen Ansprechpartner zu haben". Beide fühlten sich in dem Unternehmen mit 'den flachen Hierarchien' von den Chefs allein gelassen.

Am Rande des Unternehmens

Die Aussage der Schwester des Angeklagten, Karin T. (46), "er ist offen, steht gern im Mittelpunkt, macht gern einen drauf, kann arbeiten, ist verlässlich und pflegt seine Freundschaften" geht mit diesen Erklärungen d'accord. Selbst der ehemalige Vorstand Corina B. (47) kann ein praktisches Beispiel für die von ihr ins Feld geführten Ungeheuerlichkeiten kaum beisteuern. Die berufslose Chefin, eine eifrige, schmale, blonde Person, legte täglich mindestens zwei gemeinsame Raucherpausen mit dem Angeklagten ein. Sie sagte dem Gericht: "Es war ein netter Umgang." Aber Ulrich T. war ihr auch 'unheimlich', denn, so steuerte sie blumig bei: "Ich konnte ihn nicht fühlen."

Kurz gesagt deuten die Aussagen der ehemaligen Vorgesetzten des Angeklagten eher auf eine Erklärungsnot für die am 21. Dezember 2007 gegen den Angeklagten so plötzlich ausgesprochene Kündigung als zu dessen Ungunsten. Kurz angebunden soll das mutmaßliche Mordopfer Reiner Sch. (49) dem Angeklagten hingeworfen haben: "Einen Wagen kann man ja auch zurückgeben, wenn er einem nicht gefällt."

Anknüpfungspunkte

Auslöser für die Kündigung war erwiesenermaßen ein trautes Essen der Chefetage mit einem Geschäftsfreund. Hans-Georg O. (54), Chef der FONDSplus, hatte den heute angeklagten Ulrich T. im März 2007 entlassen, nachdem dieser Geschäftspraktiken des Unternehmens kritisiert hatte und seine Loyalität in Frage stand. Während der gemeinsamen, vorweihnachtlichen Mahlzeit teilte der Unternehmer, dessen Anzeige wegen versuchter Erpressung gegen Ulrich T. vor dem Amtsgericht Tiergarten scheiterte, seine Erfahrungen mit seinem ehemaligen Arbeitnehmer mit.

Dass Ulrich T. seinen in dem Nicht-EU-Land Schweiz erworbenen Doktortitel hierzulande nicht führen darf, es aber dennoch tat, gab den Ausschlag. Vorstand Corina B.: "Das konnten wir nicht tolerieren." Nach der Rückkehr von der Mittagspause, wird Ulrich T. ins Büro gebeten und einer Abstrafung gleich der Laufpass gegeben. Da sich der Angeklagte in der Probezeit befand, gab es für ihn auch keine rechtliche Handhabe gegen diesen Schritt.

Ulrich T. hatte indessen auch für die jüngst an die Börse gegangene ESTAVIS AG Kritisches vorzubringen. Der für das Controlling zuständige Diplomwirt wies die Unternehmensführung mehrfach auf das Einkundenproblem, das sogenannte 'Klumpenrisiko' hin. In ihrem Börsen-Prospekt hatte die AG es unterlassen, darüber zu informieren, dass das Firmenglück an dem seidenen Faden der Gunst nur eines Auftragnehmers hing.

Ulrich T., der glaubte, von der ESTAVIS AG noch 200.000 Euro für einen allerdings nicht ausreichend dokumentierten Auftrag erwarten zu dürfen, spielte mit seiner Kenntnis über diese Firmeninterna. Er hatte damit kein Glück und wurde im Sommer letzten Jahres rechtskräftig wegen Erpressung verurteilt.

Stell dir vor, was der mir angeboten hat!

Aber hat der in seiner Ehre zutiefst gekränkte Angeklagte denn auch die Entführung und einen Mord gegen den ihn verhassten Chef, 'die kleine Ratte', wie er ihn auch nannte, in Auftrag gegeben? Der inhaftierte Unternehmensberater widerspricht dem, ohne nähere Angaben zu machen. Mehrere Zeugen bestätigen jedoch, dass Ulrich T. im Sommer 2008 angab, zusammengeschlagen worden zu sein von Männern, die "schön grüßen" ließen. Von seinem ehemaligen Arbeitgeber. Auch für die Blessuren im Gesicht und am Oberkörper des Angeklagten gibt es Zeugen.

Erstmalig erklärte die Schwester des Angeklagten, Rechtsanwältin Karin K. (46) vor dem Gericht, dass Ulrich T. ihr im Dezember 2008 von einem 'unmoralischen Angebot' berichtete. Eine Zufallsbekanntschaft aus seinem Lieblingslokal "Mo" am Kurfürstendamm hätte ihm demnach angeboten, das von ihm reklamierte Geld von der ESTAVIS einzutreiben. "Stell dir vor, was der mir angeboten hat!", soll Ulrich T. gesagt haben und dass der unheimliche Kneipengast ihn damit bedränge. Von Erpressung und Entführung sei auch die Rede gewesen.

Alois im Wunderland

Karin T. machte ihrem Bruder bittere Vorwürfe wegen seines 'Abhängens in Lokalen' und seines lockeren Umgangs mit zwielichtigen Personen. Sie bat ihn, den Kontakt zu Andreas D. unverzüglich abzubrechen. Doch Ulrich T. wollte, so sagte sie, mit dem ehemaligen Delinquenten ein letztes, klärendes Gespräch führen. Karin T.: "Und das war ja auch zielführend."

War es, wenn es in dieser Form überhaupt stattfand, aber dann doch nicht. Deshalb steht Ulrich T. heute noch einmal vor Gericht. Dass der glücklose Diplomwirt, der als Alois Zirngiebel, wie der aus dem "Wunderland", die ESTAVIS erpresste, ist bereits erwiesen, verurteilt und hat Rechtskraft. Ob aber Trinkbruder Andreas D. mit seinem 'mörderischen Vorleben' aus Furcht vor strafrechtlichen Konsequenzen nicht vielleicht die Flucht nach vorn antrat und aus einem vergleichsweise moderaten Delikt einen Auftragsmord zusammenfantasierte, steht noch in Frage.

Heute, am 8. Juni, 9:30, Saal 704, wird der Prozess fortgesetzt.

Fotos:
(1) Ulrich T. Hat den Mord an seinen ehemaligen Chef in Auftrag gegeben?
(2) Corina B., ehemaliger Vorstand der ESTAVIS AG: "Ulrich T, hat in der Firma einfach keinen Anschluss gefunden."



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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