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Gerichtsreportagen


Essen in der Weltstadt


von Barbara Keller

Fr., 11.06.2010, Amtsgericht Tiergarten, Abt. 241
Ein in seinem Lebensstil kritisierter Berliner aus Adlershof, der einen Imbissbesucher beim Verzehr seines Hamburgers im Prenzlauer Berg störte, machte seinem Unmut in einer 'ungefähren Geste' Luft und konstatierte: "Ich weiß gar nicht, wie man in einer Weltstadt an einem Imbiss überhaupt 'in Ruhe' essen kann." Die 'ungefähre Geste' in Form eines ins Leere getrudelten Pflastersteins brachte den Liebhaber von Freiluftbier vor den Kadi...


Lothar D. (49)* ist ein schlanker, mittelgroßer Mann. Der gebürtige Berliner aus Adlershof hat sich heute fein gemacht. Er trägt einen schwarzen Anzug. Wohl den guten, den er bei passender Gelegenheit trägt, den mit dem verschlissenen Bestattercharme. Aus dem steifen Kragen seines weißen Hemdes lugt sein dünner Hühnerhals, das kurze, blonde Haar ist artig gescheitelt. Aus der Brusttasche seines Jacketts lugt ein Kavalier-Nasentuch.

Brav wartet Lothar D. auf dem Flur des Amtsgerichts Tiergarten auf den Aufruf seiner Sache; die amtliche Vorladung vor dem Bauch mit beiden Händen haltend. Der im Rahmen seiner Möglichkeiten gepflegte Frührentner ist heute wegen Beleidigung und versuchter Körperverletzung angeklagt.

Eigentlich hätte das Vorkommnis vor der Bank an der Schönhauser Allee von Mitte Juni vergangenen Jahres längst erledigt sein können. Doch Lothar D. wollte sich mit dem gegen ihn verhängten Strafbefehl nicht abfinden. Er widersprach. Denn seiner Meinung nach hatte er nichts anderes getan als sonst: mit Freunden auf einer Bank vor dem Einkaufszentrum in der Schönhauser Allee ein geselliges Bier bei Plaudereien getrunken. Nur dass es dieses Mal zu einer Störung kam.

"Nun erzählen Sie mal", fordert ihn die vorsitzende Richterin in der Verhandlung am 11. Juni 2010 auf. Lothar D., der wohlerzogen die Amtsträgerin begrüßt hat, erklärt: "Bevor ich beginne, will ich Sie mit einem Foto mit der Örtlichkeit vertraut machen." Lothar D. überreicht der Richterin das Farbfoto im DIN-A4-Format und fährt mit dem Finger über das Polaroid: "Das ist die Bank, das der McDonald... Hier saßen wir zu Viert. Dieter, Ilona, Waldemar und ich."

Dann beginnt er: "Es hat sich so zugetragen: Ich war mit Ilona auf dem Weg zum Spätkauf, als wir Dieter trafen..." Bei sechs Bieren hätte er sich mit seinen Bekannten gut und 'vertraulich unterhalten'. Als dieser Peter F. aus dem McDonald neben ihnen stand und sie kritisierte. "Er verstand nicht, warum wir Bier trinken." "Ja, wir haben alle unser Kreuz zu tragen", soll Dieter erwidert haben, als Peter F. beim Verzehr seines Hamburgers erklärte, trotz übergroßen Kummers kein Bier zu trinken.

Das Gespräch eskalierte. Laute Worte, die gemütliche Runde stob auseinander. Lothar D. wird auf dem Heimweg auf dem S-Bahnhof von der Polizei gefasst. Laut Anklage soll Lothar D. zwei Steine gegen Peter F. gerollt, einen dritten geworfen, aber wegen Trunkenheit sein Ziel verfehlt haben. Lothar D. widerspricht dem jedoch vehement: "Es war nur ein Stein." - "Passiert Ihnen das öfter?", fragt der Vertreter der Anklage. "Nein, das widerfährt mir nicht öfter", erwidert Lothar D. gekränkt. Was der Staatsanwalt mit "Na, Gott sei Dank", quittiert.

Auch Freundin Ilona, eine stämmige, blasse Mitvierzigerin in schwarzer, ärmelloser Leinenweste Marke Zirkuszelt, ist als Zeugin geladen. Sie bestätigt die Aussagen des Angeklagten. Sie findet es empörend, dass Peter F. "jetzt einen Reibach daraus machen will", "dass er mehr Recht hat". Denn Peter F., der sich beim Burgeressen gestört gefühlt habe, hätte sie beleidigt, bedroht und Freund Lothar D. sogar am Kragen gepackt in die Höhe gezogen.

Die Aussage des Angeklagten und mutmaßlichen Opfers gibt schließlich als Zünglein an der Waage, den Ausschlag zum Ausgang des Verfahrens. Denn der arbeitslose Zwanzigjährige erklärt trotzig und kurz angebunden: "Ich habe das vergessen." Auf den Einwand der Richterin, "Mit 20 Jahren sollte Ihr Gehirn doch noch gut funktionieren", bleibt eine Wand des Schweigens.

Die Richterin fragt: "Haben Sie schon öfter die Polizei gerufen?" Antwort: "Ja." Darauf: "Sind Sie schon öfter mit Pflastersteinen beworfen worden?" Antwort: "Ja." - Ein vielsagender Blickwechsel mit dem Staatsanwalt, die Hauptverhandlung ist für zehn Minuten unterbrochen und ab da nur noch ein kurzer Prozess: "Das Verfahren ist eingestellt."

Dann geht es gegen Peter F. und Lothar D. scheint vergessen. Richterin und Staatsanwalt halten dem Hauptbelastungszeugen eine Standpauke: "Sie verhalten sich hier äußerst grenzwertig", erklärt die vorsitzende Richterin. Und der Staatsanwalt: "Ihre Erinnerungslücken sind sehr seltsam. Sie machen keinen behinderten Eindruck. Es gibt keinen gesetzlichen Grund, sich einer Aussage zu verweigern." Man könnte den Angeklagten auch freisprechen und ihn, Peter F., das mutmaßliche Opfer wegen uneidlicher Falschaussage belangen. "Das kann für Sie sehr unangenehm werden."

Peter F. scheint das wenig zu berühren. Dem sichtlich erleichterten, zugänglicheneren Lothar D., der am 22. Juni 2009 mit 2,37 Promille auf den Beinen war, gibt die Richterin hingegen mit auf den Weg: "Und Sie rollen keine Pflastersteine mehr. Besonders nicht am 1. Mai!"


* alle Namen von der Redaktion geändert


NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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