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aus dem moabiter kriminalgericht


Bankräuber wollte kein Geld


von Barbara Keller

19. Mai 2005. Kriminalgericht Berlin. 37. Gr. Strafkammer.
Nichts als den sofortigen Kontakt zur BILD-Zeitung und die weiträumige Absperrung des Tatorts durch die Polizei verlangte ein vermeintlicher Bankräuber, der am 25. Mai 2004 die Filiale der Berliner Bank in der Frankfurter Allee 106 überfiel und eine Angestellte zur Geisel nahm. "Die wissen schon Bescheid", murmelte Bernd W. (54) erklärend. Nur durch ein Wunder eskalierte die Geiselnahme nicht zu einer Tragödie. Bankkauffrau Silvia B. (38), die Geisel, konnte sich, verletzt mit Schnittwunden im Gesicht, in den Waschraum retten. Bis zum Eintreffen der Polizei hielt die verschlossene Tür den Tritten des tobenden Bernd W. stand. Grund des Überfalls: dem an der schweren Nervenkrankheit Chorea Huntington erkrankten Bernd W. drohte eine weitere Einschränkung durch die Amtsbetreuung: die Vormundschaft über seine finanziellen Verhältnisse. Das brachte das Fass zum Überlaufen.


Bernd W. leidet an der relativ seltenen Erbkrankheit Chorea Huntington. Eine unheilbare Nervenkrankheit, die über den schleichenden Kontrollverlust der Muskeln bis hin zur völligen Demenz führt. Seit 1999 ist er in Behandlung. Dr. Lutz Pfeifer (45), sein behandelnder Arzt, beobachtet seit einiger Zeit eine Wesensveränderung an seinem Patienten. Neben einer zunehmenden motorischen Unruhe, starke Gemütsschwankungen.

Filiale Berliner Bank Frankfurter AlleeBereits im Dezember 2003 verschwand Bernd W. für einen Monat in der Geschlossenen, als er seine Betreuerin mit Morddrohungen drangsalierte. Die Amtsgerichtsbetreuung ist das rote Tuch für den unheilbar Kranken. Trotz Krankheitseinsicht möchte er dennoch die Kontrolle über seine Lebensumstände nicht komplett an das Bezirksamt abgeben. Als Bernd W. erfährt, dass der Amtsvormund nun auch über seine Geldangelegenheiten verfügt, dreht er durch. Er fühlt sich von Dr. Pfeifer verraten und droht ihm am Tag des Banküberfalls: "Sie werden heute Ihr blaues Wunder erleben!" Und brubbelt auch irgendwas von Sprengsätzen.

"Ich will die BILD und die Polizei!"

Am 25. Mai 2004 um 11:50 betritt ein gepflegt aussehender, stattlicher Mann die Filiale der Berliner Bank am S-Bahnhof Frankfurter Allee. Mit schweren, ungelenken Schritten durchquert er den Kundenraum und steuert auf den Schreibtisch des Filialleiters Wolfgang S. (58) zu. Mitarbeiterin Carola P. (50), Bankkauffrau, sieht dem Herrn staunend hinterher. Anzusprechen wagt sie den forsch dahin schreitenden Mann nicht: "Irgendwas hielt mich zurück, ihn anzusprechen." Ein kurzer Blickkontakt verschafft ihr einen flüchtigen Eindruck à la "von der Rolle".

Silvia B. aber, am letzten Bürotisch vor dem Refugium ihres Chefs Wolfgang S., spricht den Eindringling an: "Kann ich ihnen helfen?" Daraufhin zieht Bernd W. ein großes Klappmesser aus der Tasche und greift die junge Bankkauffrau wütend an. Wild gestikuliert er, das Opfer an der Schulter festhaltend, mit dem Messer herum. Filialleiter Wolfgang S. durch den Lärm aufmerksam geworden, nähert sich dem Geiselnehmer bis auf drei Meter und redet beruhend auf ihn ein: "Was wollen Sie denn?"

"Ich habe nichts mehr zu verlieren!"

Bernd W. will Kontakt zur BILD, brüllt er. Mit "du alter Sack, ich stech dir in die Nieren - ich habe nichts mehr zu verlieren " und der Mitteilung, zwei Bomben anbei zu haben, hält er den Seniorfilialleiter auf Distanz. Carola P. hat in der Zwischenzeit den Alarmknopf betätigt. Die Zeit dehnt sich quälend in die Länge. Als zufällig ein Anruf der LBB an ihrem Arbeitsplatz eintrifft, bedeckt Carola P. die Muschel des Telefonhörers mit der Hand und ruft Bernd W. zu: "Die BILD ist am Apparat! Sie kommt gleich!"

Silvia B. kann in der Zwischenzeit den Angreifer zu einem Gang auf das WC überreden. Was Bernd W. nicht weiß: von der Toilette führt eine weitere, verschließbare Tür in einen Waschraum. Hierhinein rettet sich die im Gesicht heftig blutende Frau. Bernd W. tritt brüllend gegen die Tür: "Mach die Tür auf, du Schwein, du Drecksau!" Silvia B. stemmt sich von innen mit beiden Armen fest gegen die Tür. Die blutende, am ganzen Körper schlotternde Frau hofft auf baldige Hilfe. Als endlich die Polizei überfallartig die Filiale stürmt, bedarf es einiger Überredungskunst, Silvia B. zum Öffnen der Waschraumtür zu bewegen.

Unterbringung 'ja oder ja'?

Noch am selben Tag untersucht ein Psychologe des Sozialpsychiatrischen Dienstes Friedrichshain Bernd W. und ordnet sofortige Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik an. Bernd W. behauptet, eine Verschwörung aufgedeckt und Hunderte von Richtern, Anwälten, Ärzten abgehört zu haben, die seine unrechtmäßige Betreuung verfügten. Der Psychologe hält Bernd W. als gefährlich für seine Mitmenschen. Seit dem 21. Juni 2004 ist Bernd W. im Krankenhaus des Maßregelvollzugs untergebracht.

Am 13. Mai 2005, am Tag der Hauptverhandlung, verzichtet Bernd W. auf jegliche Aussage zur Sache. Er hat seine Angaben bei der Polizei gemacht und mit einem Gutachter gesprochen. Das muss genügen. Verhandelt wird an diesem Tag und einem weiteren Termin nur noch die delikate Frage: Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik 'ja oder ja'?

Das Urteil:
Für Bernd W. wird die Einweisung in eine psychiatrische Klinik angeordnet. Dieselbe allerdings für fünf Jahre auf Bewährung ausgesetzt. Bernd W. erklärt sich zu einer Unterbringung in einer ASB-Pflegeanstalt Spandau bereit, wo er unter permanenter ärztlicher und pflegerischer Betreuung steht, wo er regelmäßig seine Medikamente zu nehmen hat und Ausgang nur auf Anfrage und nur unter Begleitung erhält. Bei Verstoß gegen diese Auflagen wird Bernd W. umgehend in die psychiatrische Klinik des Maßregelvollzugs eingewiesen.

Der gelernte Ofensetzer, bis 1989 als Chemielaborant tätige Bernd W., gilt als unheilbar krank und für die Tatzeit als nicht schuldfähig. Er ist nicht vorbestraft, zweimal geschieden und in die "Lehre" eines jähzornigen Vaters gegangen. Zwei Gutachter, die derzeitige Stationsärztin des Maßregelvollzugs als auch der Sachverständige Dr. Tänzer aus dem Maßregelvollzug Berlin erklären, dass Bernd W. eine nur noch sehr begrenzte Lebensdauer, vielleicht vier Jahre zu leben hat.

Dr. Tänzer: "Zwar ist Bernd W. nach wie vor gefährlich. Das Paranoide ist ja nicht weg." Aber würde der Angeklagte seine Medikamente einnehmen, so zeigten die elf Monate Unterbringung im Maßregelvollzug, wäre Bernd W. zahm wie ein Lamm. Die Stationsärztin erklärt zudem, Bernd W. sei im vorletzten Stadium seiner Erkrankung angelangt: von einem permanent dumpf depressiven Zustand dämmere er jetzt in die Demenz hinein.

Silvia B. kann den gutwilligen Bemühungen des Gerichts für ihren ehemaligen Peiniger nicht viel abgewinnen: "Es fällt mir sehr schwer, Mitleid mit Bernd W. zu empfinden." Auch glaubt sie, dass die Betreuer von Bernd W. die Eskalation hätten voraussehen müssen. – Bleibt zu hoffen, dass Bernd W. im besagten Pflegeheim immer schön seine Medikamente nimmt, ruhig bleibt und nicht, wie von Amtsbetreuer Dietmar Plöse befürchtet, in dieser vergleichsweise harmlosen Atmosphäre wieder "Oberwasser bekommt". – Das könnte fatale Folgen haben.

 



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Bankkauffrau Silvia B.
Ein Bankräuber nimmt Silvia B., Bankkauffrau einer Filiale der Berliner Bank im Friedrichshain (Abb. im Text), am 25. Mai 2004 als Geisel. Sie denkt: "Jetzt ist es vorbei."

Filialleiter Wolfgang S.
Filialleiter Wolfgang S. schafft es nicht, den wütenden Eindringling zu beschwichtigen.

Kollegin Carola P.
Kollegin Carola P. war der seriös wirkende Herr dennoch unheimlich: "Er bewegte sich so komisch. Mit großen, ungelenken Schritten."


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