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Mitfahrgelegenheit, blablacar

aus dem moabiter kriminalgericht


Das kann jedem passieren ...


von Barbara Keller

24. August 2005. Amtsgericht Tiergarten. Abt. 295 –Schöffengericht.
Am Morgen des 6. November 2003, ein Donnerstag, hält Jochen W. (37) mit seinem Lastkraftwagen, elf Tonnen Leergewicht, an der Kreuzung Friedenauer Brücke, um auf den Autobahnzubringer abzubiegen. Geladen hat er zwei Klimaschränke à 1.100 kg. Als die Ampel auf Grün springt, fährt der gebürtige Hesse zügig los, biegt nach rechts ab. "Auf einmal tat's rummeln, als wenn da ein Schlagloch wär.", sagt er später vor Gericht. Gemächlich hält er an, steigt aus und sieht zu seinem Entsetzen einen Fahrradfahrer am Boden liegen.


Jochen W. verständigt sofort den Notarzt und wartet hinter seinem Laster. Um den schwer verletzten Jungen, Nils K. (19), kümmert sich aufopferungsvoll aber vergeblich eine Passantin. Der Notarzt kann schließlich nur noch den Tod des Radfahrers feststellen.

Unprofessionell und relativ oberflächlich sichern die Polizeibeamten vor Ort die Spuren. Ein Sachverständiger wird diese Nachlässigkeit später vor Gericht deutlich kritisieren. In der B. Z. ist am nächsten Tag zu lesen, dass sich wieder einmal ein junger Fahrradfahrer aus Unachtsamkeit ums Leben brachte.

Bei näherer Untersuchung des Unfallhergangs stellt sich jedoch heraus, dass Nils K., der auch einen Fahrradhelm trug, bei Grün fuhr. Die Behörden leiten ein Ermittlungsverfahren ein, Jochen W. wird der fahrlässigen Tötung angeklagt.

Vor Gericht, am 24. August 2005, zwei Jahre nach dem tödlichen Unfall, schwört Jochen W. Stein und Bein, keinen Radfahrer gesehen zu haben. Er fühlt sich unschuldig. Durch seinen Verteidiger lässt er um Freispruch bitten.

Auf die Frage des Richters, wie es 'dazu' kommen konnte, antwortet Jochen W.: "Keine Ahnung." Er hätte routinemäßig in die Spiegel gesehen, sei bei Grün zügig losgefahren, sodass er auf dem sich kreuzenden Fußweg bereits wieder auf gefühlten 23 km/h war.

Jochen W. behauptet auch, dass Fußgänger und Fahrradfahrer zu diesem Zeitpunkt Rot gehabt hätten. - Was allerdings den Tatsachen widerspricht. Der als Zeuge geladene Sachverständige Michael Weyde weist das Gericht am Tag der Hauptverhandlung mit Entschiedenheit darauf hin, dass Fußgänger, Fahrradfahrer ebenfalls eine Grünphase und genau zehn Sekunden Zeit hatten, die Straße zu überqueren.

Zehn Sekunden - das wusste auch Nils K., der die Kreuzung häufig befuhr und erwarten durfte, dass Autofahrer mit Rücksicht auf Fußgänger und Fahrradfahrer noch einmal am Fußüberweg hielten oder zumindest vorsichtig anfuhren.

Jochen W. aber hielt nicht, im Gegenteil, er beschleunigte. Damit hatte der neunzehnjährige Azubi nicht gerechnet. Ein verzweifelter Versuch, dem auf ihn zudonnernden LKW nach rechts auszuweichen, scheiterte. Der Sachverständige Michael Weyde erklärt: "Der Unfall hätte mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert werden können, wenn Jochen W. langsam angefahren, beziehungsweise noch einmal angehalten hätte, um sich in den Rückspiegeln zu vergewissern."

Das Urteil: Das Gericht erkennt auf eine 'Verletzung der Sorgfaltspflicht' und verurteilt Jochen W. auf Zahlung von 4.000 € an die Landeskasse. Die Urteilsbegründung des Richters eröffnet ein engagierter Appell an die Fahrradfahrer, auf ihre Gesundheit selbst zu achten. Nils K. habe nichts falsch gemacht. Aber: LKWs seien nun mal "riesige Schlachtschiffe", die Sicht der Fahrer eingeschränkt. "Das muss man wissen.", betont der Richter mahnend.

In Jochen W.s Handeln läge 'nur wenig Schuldgehalt'. Der Richter: "Was Jochen W. passierte, kann jedem Autofahrer passieren". Und würde man ihm den Führerschein entziehen, müsste man wohl auch allen anderen Autofahrern den Führerschein entziehen.

Unterm Stich: Vielleicht wäre es ehrlicher und konsequenter, die Vorfahrt des Stärkeren endlich gesetzlich zu zementieren. In der Form: Lastkraftwagen genießen immer Vorfahrt.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Der aus Hessen gebürtige LKW-Fahrer Jochen W. (37) beachtete nicht, dass Fußgänger und Fahrradfahrer Grün hatten, fuhr mit seinem Elftonner zügig los und überrollte einen Fahrradfahrer.


Hartmut K. (62), der Vater des verunglückten Jungen: "Ich will keine Rache, ich will nur einen Schuldspruch." Sein Wunsch, der Angeklagte möge eine Summe in eine gemeinnützige Initiative spenden, blieb unerfüllt.

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