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Gerichtsreportagen


Ich möchte heute die Wahrheit sagen


von von Barbara Keller

03.01.2012, Moabiter Kriminalgericht, 40. Große Strafkammer
Im Verfahren gegen einen aus dem aus Senegal gebürtigen Mann, dem vorgeworfen wird, im April vergangenen Jahres die französische Künstlerin Pilar Valadié (27) getötet zu haben, liegt nun ein Teilgeständnis vor. Oumar G. (29) hatte in einer ersten Einlassung behauptet, ein Nigerianer namens Joe habe mutmaßlich die Tat begangen. Am vergangenen Prozesstag erklärte der Angeklagte nun, in Notwehr gehandelt zu haben. Rechtsanwalt Akin Hizarci forderte in seinem Plädoyer - 'in dubio pro reo' - jetzt Freispruch für seinen Mandanten.
Prozessauftakt 22.11.201 / Hauptseite...


Rückblick. Am Dienstag, dem 19. April 2011 gegen 4:00 morgens tritt Rainer St. (50) an sein Wohnzimmerfenster, streckt sich und blickt hinaus auf die Straße. Rainer St. wohnt im dritten Stock eines Hauses in der Taborstraße, Kreuzberg. Der derzeit Arbeitslose hat sich die Augen an der Mattscheibe des Fernsehapparates müde gesehen und will nun, vor dem Schlafengehen, noch eine Prise frische Luft nehmen.

Rainer St. stutzt, als er aus Richtung Taborkirche Schleifgeräusche vernimmt. Dann beobachtet er auch den Verursacher des Geräusches an diesem ansonsten in wattige Stille getauchten Frühlingsmorgen. Es ist ein 'Schwarzafrikaner', wie er sagt. Der vielleicht 1,80 Meter große Mann, der ein großes Paket hinter sich herschleift, hält sich dicht an der Häuserwand. Er ist sichtlich nervös. Setzt immer wieder ab, sieht sich um. Bereit zur sofortigen Flucht, wie Rainer St. scheint.

Dickköpfig - aber immer nett

An der Ecke, gleich am Kanal, legt der Fremde seine in einen Plastiksack gehüllte Fracht ab. Der Postbote biegt um die Ecke. Plötzlich ist das Paket verschwunden. Dann macht es 'plumps'. "Das kam mir spanisch vor", erklärt der spätere Zeuge Rainer St. Wenige Stunden später informiert ein besorgter Familienvater die Polizei über ein seltsames, menschengroßes Bündel am Ufer des Landwehrkanals. Es beinhaltet, so stellt sich heraus, die gewaltsam zu Tode gekommene Pilar Valadié, mit Künstlernamen Pilar Bauman.

Pilar Valadié, die seit einigen Monaten in Berlin lebt, arbeitet im April 2011 an einem neuen Performanceprojekt namens 'I am in Love'. Darin verarbeitet sie aktuell eine unerfüllte Liebe. Margot C. (29), eine enge Freundin der Getöteten, beschreibt die zurückhaltende, eher schüchterne Vegetarierin mit 'dickköpfig - aber immer nett". Sie sagt über Pilar Valadié: "Sie war so gut erzogen, so höflich." Den gelegentlichen Konsum der Künstlerin von Amphetaminen ('Speed') oder Kokain quittiert Margot C. mit deutlicher Kritik. "Wenn sie abends arbeitete, hat sie öfter Speed genommen", sagt sie. Die Qualität des gekauften Amphetamins soll Pilar Valadié einmal bemängelt haben.

Speed oder Kokain

Oumar G. ist Drogendealer, nebenher bietet er auch sexuelle Dienstleistungen auf einem einschlägigen Portal für Homosexuelle an. Der Mann aus Senegal verkauft seinen Stoff - Amphetamine, Marihuana, Kokain, Haschisch - für den doppelten Ankaufspreis in den Seitenstraßen zwischen Kottbusser und Schlesischem Tor. Meist ist er als 'jedermanns Freund' an der Schlesischen Straße 12 zu treffen, einem türkischen Imbiss, an dem er seine Tage bei Bier, Wodka und Speed launig zubringt. "Manchmal verkaufe ich Speed, obwohl die Leute nach Kokain fragen. Damit bekomme ich ungefähr das Sechsfache im Preis", berichtet ein Kreuzberger Drogendealer freimütig in einem Interview für das Internetmagazin Amy&Pink. Der Interviewte ist mit Oumar G. kaum zu verwechseln, eine Woche vor der Tat.

Als Pilar Valadié am 19. April 2011 tot, in Bettlaken und Mülltüten verpackt im Landwehrkanal gefunden wird, ist den Rechtsmedizinern eine Bestimmung der Tatzeit nicht mehr möglich. Dazu ist es an diesen Apriltagen bei teils 30 Grad Celsius in der Sonne bereits zu warm. Doch die Ergebnisse der Obduktion der offensichtlich getöteten jungen Frau reden für sich.

"Die Verletzungen sprechen gegen eine gezielte Tötung", sagt Rechtsmedizinerin Dr. Saskia Guddat (31). Zahlreiche Stichverletzungen an Brust, Rücken und Hals, stumpfe Gewalteinwirkungen gegen Kopf und Hals sowie die aktiven Abwehrverletzungen der 1,65 m großen, schmächtigen Pilar Valadié deuten auf eine von Emotionen motivierte oder zumindest begleitete Tat hin. Der Täter, so die Sachverständige, muss auf eine sich heftig wehrende Frau massiv eingewirkt haben. Zu den Handverletzungen des Opfers erklärt Dr. Guddat: "Irgendwann sind Sie so verzweifelt, dass Sie versuchen, in die Klinge zu fassen. Der Angreifer zieht Ihnen dann so die Klinge durch die Hand." Milz, Leber, Lunge der jungen Französin sind schließlich so schwer verletzt, dass sie auf dem Rücken liegend verblutet.

Ich habe einen Fehler gemacht

"Ich möchte heute die Wahrheit sagen", erklärt Oumar G. zu Beginn des Prozesstages am 3. Januar 2011. Es ist bereits sein zweiter Erklärungsversuch, nachdem er zunächst seine Unschuld beteuert und einen anderen mit Namen 'Joe' als Täter präsentiert hat. Heute bittet er um Entschuldigung bei der Familie der Getöteten. "Es tut mir auch Leid für das Mädchen", sagt Oumar G. Er habe 'einen Fehler gemacht'. Dann tritt er in den Zeugenstand.

Zunächst stellt Oumar G. klar: "Das Mädchen war am Montag Abend nicht mehr lebendig." Pilar Valadié hätte ihn Sonntagnacht, den 17. April 2011, am Spätkauf in der Schlesischen Straße wegen 'etwas' Kokain angesprochen. Doch der heute Angeklagte verfügte lediglich noch über fünf Gramm Speed und Marihuana, das er zudem in der Taborstraße bunkerte.

Deshalb sei ihm Pilar Valadié, die er bislang nicht kannte, in die rund zehn Minuten Weg entfernt gelegene Wohnung gefolgt. Die fünf Gramm Speed hatte der Angeklagte in kleinen Tüten zu je einem Gramm verpackt. Sie sollten insgesamt 50 Euro kosten. Zum Probieren, so Oumar G., gab er nun der jungen Frau alle fünf Päckchen in die Hand.

Speed für lau

Pilar Valadié roch an dem Stoff, befand ihn für gut und steckte ihn ein. Oumar G.: "Guten Speed riechen sie meterweit." Anstatt zu bezahlen, so der Angeklagte, bot die junge Frau ihm Sex an. "Aber ich hatte keine Lust. Ich war müde." Pilar Valadié 'insistierte', wollte das Speed nicht zurückgeben, hätte sogar versucht, mit dem Stoff zu fliehen. Der Angeklagte berichtet, Pilar Valadié an ihrer Tasche festgehalten zu haben. Es kam zu einem Gerangel, Oumar G. stolperte, landete auf dem Sofa.

Dann soll Pilar Valadié ein unter dem Tisch liegendes Messer aufgenommen und ihn angegriffen haben mit den Worten: "Ich bringe dich um!" "Als sie weiter auf mich zukam, bekam ich Angst und verteidigte mich", so Oumar G. "Ich war wütend, habe mich auch gefürchtet und war von etwas besessen. Ich hatte vorher auch geraucht und getrunken", bietet der Angeklagte als Erklärung an. Auch einen Alkoholpegel von Wodka und Bier, 1,5 Gramm Speed und eine Ladung Marihuana - seine tägliche Tagesration.

Die Stiche in den Rücken, die Abwehrverletzungen, die Würgemale, den Schnitt quer über den Hals des Opfers erklärt dies alles nicht. Klare Antworten mag Oumar G. offenbar auch nicht zu geben. Wie er, der 1,80 m große, 84 Kilogramm schwere Mann der 1,60 m zierlichen Frau das Messer entwand, schildert der Angeklagte so: "Ich habe die Hand genommen, in der sie das Messer hielt." Fertig.

Zwischen Lebenslang und Freispruch

Die Staatsanwaltschaft mochte Oumar G. mit seiner neuen Wahrheit nicht umzustimmen. Sie hielt in ihrem am 3. Januar gehaltenen Plädoyer weiterhin an einem Raubmord als Tatgeschehen fest. Der Angeklagte habe sein Geständnis mehr oder weniger geschickt an das Beweisergebnis angepasst, warf Staatsanwalt Reinhard Albers ihm vor: "In meiner ganzen Praxis habe ich noch nie erlebt, dass ein Geständnis so spät kommt." Dass Pilar Valadié auf den Angeklagten mit einem Messer losgegangen sei, bezeichnete Albers als 'persönlichkeits- und charakterfremd'.

Vielmehr sei wahrscheinlich, dass bislang verschollene Wertgegenstände, die das Opfer in der Tatnacht bei sich geführt haben soll, darunter ein Apple Netbook samt Hülle (2.168,70 Euro) und ein Samsung Handy für 269 Euro, die Begehrlichkeit des Angeklagten weckte. "Die Gegenstände bleiben weiter verschwunden", erklärte Albers und erntete damit ein amüsiertes Lächeln des Angeklagten. Staatsanwalt Albers beantragte eine lebenslange Haftstrafe für den Angeklagten.

Verteidiger Akin Hizarci forderte dagegen Freispruch für seinen Mandanten. Die Staatsanwaltschaft verfüge lediglich über Indizien. Oumar G. sei angegriffen worden, habe unter Alkohol und Drogeneinfluss gestanden und hätte sich lediglich gewehrt. Rechtsanwalt Hizarci: "Mein Mandant war überrascht. Er kämpfte um sein Leben." Oumar G. sei abhängig von Drogen, das stehe 'außer Frage'.

Inzwischen hat der Vorsitzende Richter Ralf Fischer den rechtlichen Hinweis erteilt, dass auch eine Verurteilung wegen Totschlags in Tatmehrheit mit Unterschlagung sowie eine Verurteilung wegen § 29 gegen das Betäubungsmittelgesetz in Betracht kommt.

Das Urteil gegen Oumar G. wird am Freitag, dem 6. Januar 2011, 11:00, Saal 704 erwartet.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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