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Tragödie am Schönefelder Kreuz


von von Barbara Keller

11.05.2012, Landgericht Potsdam
"Tote auf der Straße, Tote im Bus, überall Verletzte", so beschrieb ein Notfallseelsorger, was er am Unfallort Ende September 2010 am Schönefelder Kreuz sah. Anderthalb Jahre später muss sich die mutmaßliche Unfallverursacherin vor dem Potsdamer Landgericht wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Sie soll bei regennasser Straße mit überhöhter Geschwindigkeit auf die A10 aufgefahren sein und den Fahrer eines polnischen Reisebusses zu einem folgenschweren Ausweichmanöver gezwungen haben.
Bericht vom 25.05.2012
Bericht vom 01.06.2012 (Urteil)

26. September 2010. Im Reisebus der Firma Pol-Bus herrscht ausgelassene Stimmung.Die 47 Insassen, Mitarbeiter des Forstamtes Zlocieniec (östlich von Stettin, Polen) und deren Familien, sind auf der Rückreise nach einem zweiwöchigen Mutmaßliche Verursacherin des Unglücks auf der A10: Baetrice D.Urlaub in Barcelona. Zwar regnet es an diesem Vormittag Strippen. Doch es gibt Grund zu feiern. Die 12-jährige Karoline, sie reist mit ihrer Großoma, hat heute Geburtstag. Und in nur vier Stunden werden alle wieder zu Hause sein. Nach 17 Stunden Fahrt, in denen sich die beiden Busfahrer gegenseitig abwechselten, erreicht die Busgesellschaft gegen 10 Uhr Vormittags das Schönefelder Kreuz südlich von Berlin.

Zur selben Zeit ist auch Beatrice D. (38) auf der A113 mit ihrem roten Mercedes unterwegs. Die langjährige Verwaltungsangestellte des Berliner Polizeipräsidiums will mit ihrer Freundin und einem Bekannten einen kleinen Abstecher nach Polen machen, um dort preiswert Zigaretten einkaufen. Gegen 10 Uhr fädelt sich Beatrice D. hinter Kiekebusch auf die Abfahrt zur A10 Berliner Ring, Richtung Frankfurt Oder ein.

Um 10 Uhr sitzt Busfahrer Grzegorz J. (42) hinter dem Steuer. Er fährt fast konstant 100 km/h und befährt anhaltend die rechte Kriechspur. Als er rechter Hand Beatrice D. in ihrem Mercedes auf der Auffahrt bemerkt, sucht er, die Spur zu wechseln. Dann geht alles sehr schnell.

Spurenwechsel

Aus unerfindlichen Gründen zieht auch der rote Mercedes plötzlich nach links. Um eine Kollision zu vermeiden, lenkt Grzegorz J. reaktionsschnell nach links. Doch schon trifft ihn der PKW mit voller Wucht an der rechten Die Sachverständigen Vorderfront, rotiert um sich selbst und schlägt mit dem linken Heck in die rechte Seite des Busses ein.

Um einiges beschleunigt rast der Reisebus auf die linke Leitplanke und die Betonbrücke zu. Die Leitplanke gibt nach, das hohe Fahrzeug kippt, begünstigt durch das intuitive Gegenlenken des Fahrers, nach links, knallt und schabt mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h mit der oberen linken Seite an dem Betonpfeiler entlang.

70 Meter hinter der Brücke kommt der Bus zu stehen. "Es war still. Wir wählten die 112", berichtet Reiseveranstalter Cezary K. später. "Wir haben uns bemüht, uns gegenseitig einzureden, dass alles in Ordnung sei und bald Hilfe komme", erzählt dessen Ehefrau Ewa K. Die Mercedes-Fahrerin, Beatrice D., weiß es in diesem Augenblick bereits besser.

Bewusstseinstrübungen

Sie und ihre Beifahrer überstehen den dramatischen Zusammenstoß physisch ohne nachhaltige Schäden. Ihr jetzt schrottreifer Mercedes kommt unter der Brücke zum Stehen. Die völlig deformierte Schnauze steckt in einer Abflussrinne. "Ich habe keine Erinnerung vom Moment der Abfahrt, bis ich im Krankenhaus war", wird sie später in ihrer Einlassung vor Gericht aussagen. Doch nach der Katastrophe kehrten, begleitet von Panikattacken und Suizidgedanken, Erinnerungsfetzen zurück.

Es sind die "Leichenbilder", so Beatrice D., die sie bis in die Träume verfolgen. Vier Personen, darunter das Geburtstagskind Karoline, liegen unter der Brücke. Wie sie aus den Fenstern, teils gegen die Pfeiler gestürzt waren. Tot. Auch im Bus hat es acht Tote gegeben. Drei von ihnen hängen zu den Fenstern heraus. Es ist eine Trägödie unfassbaren Ausmaßes.

Ungebremst

Seit dem 4. Mai dieses Jahres hat sich Beatrice D. vor dem Potsdamer Landgericht und vor großem Publikum wegen fahrlässiger Tötung zu verantworten. Sie ist angeklagt, den Tod von 14 Menschen durch fahrlässige Fahrweise verschuldet zu haben. Was genau sich ereignete und warum Beatrice D. offenbar ungebremst in den Reisebus fuhr, sollten am dritten Prozesstag zwei Sachverständige erhellen.

Die Angeklagte hat es sich und ihrem Verteidiger, Carsten Hoenig, schwer gemacht, indem sie den Opfern dieses schrecklichen Unfalls bislang ihr Bedauern versagt. Sie soll nach Auskunft ihres Rechtsanwaltes auch nicht ihre Verteidigung, sondern die Aufklärung offener Fragen erbeten haben. Aus Beatrice D., die ganz sicher nicht vorsätzlich handelte, spricht der durchaus nachvollziehbare Wunsch, die schwere Schuld nicht in ihr bislang unbescholtenes Leben integrieren zu müssen.

Dennoch sieht es danach aus, als müsse sie mit einer begründeten Verursacherschuld leben. Zwar hatte Unfallexperte Karsten Laudien erklärt, ob die Angeklagte mehr als 42 km/h auf der mit 40 km/h Geschwindigkeit begrenzten Auffahrt gefahren sei, könne nicht mit Bestimmtheit nachgewiesen werden. Doch überzeugten die dem widersprechenden, sachgerechten, an der Praxis gemessenen Ausführungen des Sachverständigen für Straßenverkehrsunfälle Prof. Dr. Ing. Hartmut Rau.

Etwas trat ein

Rau hatte die in Frage kommenden Szenarien an der Unfallstelle nachgestellt und einen baugleichen Mercedes in 13 Versuchen (im Beisein der Vorsitzenden Richterin) Test gefahren. Hierbei stellte sich heraus, dass der Mercedes offenbar nicht durch überhöhte Geschwindigkeit ausgebrochen war. Denn selbst bei 75 km/h brachte Experte Rau das Fahrzeug sicher durch die regennasse Kurve. Vielmehr hielt Rau ein Szenario für denkbar, nachdem Beatrice D. zu früh beschleunigte und mit 65 km/h, mindestens aber 50 km/h auf die Sperrlinie geriet. In diesem Moment könnte, so Rau, die Angeklagte gegengelenkt, auf die rechte Leitplanke zugefahren, wieder gegengelenkt und so auf den Reisebus zugeschossen sein. "Es muss etwas eingetreten sein", so der Gutachter, "das die Angeklagte überraschte."

Aussetzen, Urteil Ultimo?

"Schnallt euch an im Bus, das kann überlebenswichtig sein, kann ich nur sagen!" nahm Prof. Rau die Gelegenheit wahr zu mahnen. In dem polnischen Unfallbus hatte sich offenbar - außer dem Fahrer - niemandDie Das Potsdamer Gerichtsgebäude angeschnallt. Es gab auch nur wenige Gurte, von Airbags ganz zu schweigen. Dies sei jedoch für das bereits 2000 in Betrieb gegangene Fahrzeug laut EU-Verordnung vom 9. Mai 2006 auch kein Muss gewesen.

Das Gericht hat nun noch einen Beweisantrag der Verteidigung zu würdigen, die eine Infiltrierung des Bodenbelags der Auffahrt durch Öl an der Unfallstelle für möglich hält. Der Zubringer auf die A10 Richtung Frankfurt Oder gilt offiziell als Unfallschwerpunkt. Bereits zu DDR-Zeiten soll es hier zu 'unerklärlichen Vorfällen' gekommen sein, so Rechtsanwalt Hoenig .

Sollte die Verteidigung mit ihrem Antrag Erfolg haben, wird das Verfahren ausgesetzt. Der nächste Termin ist für Donnerstag, 25. Mai 2012, vorgesehen (wieder im Landgericht). Die Prozessbeteiligten sind gehalten, sich auf die Plädoyers vorzubereiten.

Fotos:
- Beatrice D. zu Beginn des 3. Prozesstags.
- Die Sachverständigen Karsten Laudien (li.), Prof. Dr. Ing. Hartmut Rau (re.)
- Das Brandenburger Verfassungsgericht. Am 1. Prozesstag wich das Gericht wegen des großen Medieninteresses auf dieses Gebäude aus.



- Beisetzung der Unglücksopfer 10.2010



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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