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Gerichtsreportagen


Missliebige Bürger - wohin mit Kowalsky?


von C. Rockenschuh

Zwölf Jahre lebt der polnisch gebürtige Kowalsky völlig unauffällig in deutschen Landen. Doch als er seine Arbeit verliert, hat der bislang unbescholtene Mann sein Aufenthaltsrecht verwirkt. Wohin nun mit Kowalsky? Die Frage beschäftigt im Herbst 1853 eine Kammer des Berliner Kriminalgerichts...

Joseph Kowalsky, ein aus dem Königreich Polen eingewanderter Handwerker 1867 A. Graeb - Berliner Rathaus mit Gerichtslaube hatte seiner russisch okkupierten Heimat den Rücken gekehrt und sich in Preußen niedergelassen. Sei es, dass er als Aufständischer gegen die zaristischen Besatzer floh, sei es, dass er vor den politischen Verhältnissen flüchtete. Heute würde man ihn als 'Asylsuchenden' bezeichnen.

Darüber hinaus auch als 'Heimatlosen'. Denn Joseph Kowalsky hatte mit seiner zehnjährigen Abwesenheit auch die Bürgerrechte seines Landes verwirkt. In einem ersten Lösungsansatz schob Preußen den polnischen Landsmann nach England ab. Auf Kosten der preußischen Landeskasse wurde Kowalsky über Hamburg nach England gebracht und ausdrücklich eine wiederholte Einreise in die preußischen Staaten untersagt.

Doch in London, einer Metropole mit damals knapp drei Millionen Einwohnern, konnte der so Ausgewiesene nicht Fuß fassen. Der ausschließlich Polnisch sprechende Mann fand keine Arbeit und drohte zu verhungern. In seiner Not kehrte Kowalsky nach Preußen zurück und gab dem Berliner Kriminalgericht im Herbst 1853 Stoff zu einer Verhandlung.

Die war sicher nicht das spektakulärste Ereignis des Tages. Konkurrierend sei ein mehrere Gerichtstage dauernder Schwurgerichtsprozess gegen eine elfköpfige Diebsbande genannt, die im Januar 1853 rings um den Gendarmenmarkt renommierte Läden ausraubte. Mit dem 'Rollo-Trick: Rollo aufhebeln und Fenster eindrücken. Die Elf flogen auf, weil sie die Beute unter Angabe von Namen und Adresse bei diversen Pfandleihern versetzten. - Die Delinquenten wohnten übrigens im Scheunenviertel.

Als verstörend darf die Berliner auch der Trinkunfall eines Schutzmannes getroffen haben. Der Beamte trat im September 1853 während seines Dienstes in einen Laden der Lindenstraße und verlangte nach einem Schnaps. Der verunsicherte Handlungsgehilfe vergriff sich in der Flasche und servierte dem durstigen Ordnungshüter 'chemische Säure' - mit tödlicher Folge.

Doch Kowalskys Schicksal so gestrig es aus einer Distanz von nunmehr fünf Generationen anmuten mag, ist der Gegenwart vielleicht näher, als gedacht. Denn das Gesetz, seinem Wesen nach Einbahnstraße, greift - jedem Zweifel erhaben - schließlich wo es darf. Wo nicht, greift etwas anderes - mehr oder weniger Gestaltetes. Im Falle Kowalskys griff Paragraf 115.

Laut § 115 Strafgesetz war Kowalsky als Ausländer illegal nach Preußen zurückgekehrt, was eine Haftstrafe von neun Monaten bis zwei Jahren nach sich zog. Auf die wortreich vorgetragene Not des Angeklagten nahm das Gericht - bei aller Empathie - keine Rücksicht. Gesetz ist Gesetz. Es urteilte aber in aller ihm 'gesetzlich zur Verfügung stehenden Milde' und verurteilte Joseph Kowalsky 'lediglich' zu drei Monaten Gefängnis. Nach verbüßter Haft sollte der Angeklagte wieder des Landes verwiesen werden, sofern über seine 'Heimatverhältnisse' nicht anderweitig Klarheit geschaffen sei. Oder etwa veränderte politische Verhältnisse - deus ex machina - dem armen Mann lichtere Optionen eröffneten.

(Frei nach Gerichtsfällen aus der Berliner Gerichts-Zeitung, erschienen 1853-1898.)

Bild: A. Graeb, 1867 (Märkisches Museum)
Auf dem Gemälde sieht man, wofür sich die aufstrebende Metropole Berlin (1/2 Mio. Einwohner) seinerzeit schämte: das alte Rathaus mit der Gerichtslaube.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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