Joseph Kowalsky, ein aus dem Königreich Polen
eingewanderter Handwerker hatte seiner russisch
okkupierten Heimat den Rücken gekehrt und sich in
Preußen niedergelassen. Sei es, dass er als
Aufständischer gegen die zaristischen Besatzer
floh, sei es, dass er vor den politischen
Verhältnissen flüchtete. Heute würde man
ihn als 'Asylsuchenden' bezeichnen.
Darüber hinaus auch als 'Heimatlosen'. Denn Joseph
Kowalsky hatte mit seiner zehnjährigen Abwesenheit
auch die Bürgerrechte seines Landes verwirkt. In
einem ersten Lösungsansatz schob Preußen den
polnischen Landsmann nach England ab. Auf Kosten der
preußischen Landeskasse wurde Kowalsky über
Hamburg nach England gebracht und ausdrücklich eine
wiederholte Einreise in die preußischen Staaten
untersagt.
Doch in London, einer Metropole mit damals knapp drei
Millionen Einwohnern, konnte der so Ausgewiesene nicht
Fuß fassen. Der ausschließlich Polnisch
sprechende Mann fand keine Arbeit und drohte zu
verhungern. In seiner Not kehrte Kowalsky nach
Preußen zurück und gab dem Berliner
Kriminalgericht im Herbst 1853 Stoff zu einer
Verhandlung.
Die war sicher nicht das spektakulärste Ereignis
des Tages. Konkurrierend sei ein mehrere Gerichtstage
dauernder Schwurgerichtsprozess gegen eine
elfköpfige Diebsbande genannt, die im Januar 1853
rings um den Gendarmenmarkt renommierte Läden
ausraubte. Mit dem 'Rollo-Trick: Rollo aufhebeln und
Fenster eindrücken. Die Elf flogen auf, weil sie
die Beute unter Angabe von Namen und Adresse bei
diversen Pfandleihern versetzten. - Die Delinquenten
wohnten übrigens im Scheunenviertel.
Als verstörend darf die Berliner auch der
Trinkunfall eines Schutzmannes getroffen haben. Der
Beamte trat im September 1853 während seines
Dienstes in einen Laden der Lindenstraße und
verlangte nach einem Schnaps. Der verunsicherte
Handlungsgehilfe vergriff sich in der Flasche und
servierte dem durstigen Ordnungshüter 'chemische
Säure' - mit tödlicher Folge.
Doch Kowalskys Schicksal so gestrig es aus einer
Distanz von nunmehr fünf Generationen anmuten mag,
ist der Gegenwart vielleicht näher, als gedacht.
Denn das Gesetz, seinem Wesen nach Einbahnstraße,
greift - jedem Zweifel erhaben - schließlich wo es
darf. Wo nicht, greift etwas anderes - mehr oder weniger
Gestaltetes. Im Falle Kowalskys griff Paragraf 115.
Laut § 115 Strafgesetz war Kowalsky als
Ausländer illegal nach Preußen
zurückgekehrt, was eine Haftstrafe von neun Monaten
bis zwei Jahren nach sich zog. Auf die wortreich
vorgetragene Not des Angeklagten nahm das Gericht - bei
aller Empathie - keine Rücksicht. Gesetz ist
Gesetz. Es urteilte aber in aller ihm 'gesetzlich zur
Verfügung stehenden Milde' und verurteilte Joseph
Kowalsky 'lediglich' zu drei Monaten Gefängnis.
Nach verbüßter Haft sollte der Angeklagte
wieder des Landes verwiesen werden, sofern über
seine 'Heimatverhältnisse' nicht anderweitig
Klarheit geschaffen sei. Oder etwa veränderte
politische Verhältnisse - deus ex machina - dem
armen Mann lichtere Optionen eröffneten.
(Frei nach Gerichtsfällen aus der Berliner
Gerichts-Zeitung, erschienen 1853-1898.)
Bild: A. Graeb, 1867 (Märkisches
Museum)
Auf dem Gemälde sieht man, wofür sich die
aufstrebende Metropole Berlin (1/2 Mio. Einwohner)
seinerzeit schämte: das alte Rathaus mit der
Gerichtslaube.