19.01.2015, 15. Große Strafkammer, Saal 500
Als die Spezialeinheiten am 30. Mai 2012 das Clubhaus der Hells Angels Berlin City im Rahmen einer Razzia aufschlagen, ist der Vogel bereits ausgeflogen. Ein 'Maulwurf' innerhalb der Behörde hatte die Rocker gewarnt, die vorsorglich die Stätte räumten.
Ein jetzt suspendierter Mitarbeiter des Rockerdezernats soll Spiegel-TV über die bevorstehende Aktion informiert haben. Auf Spiegel-Online lasen die Leser bereits vorab, von der 'verratenen' Razzia.
Allerdings soll Kadir P., der Präsident des Hells Angels Charter Berlin City, möglicherweise bereits Tage oder Wochen zuvor von einem 'Maulwurf' beim SEK Niedersachsen von der Polizei-Aktion informiert gewesen sein.
Einen 'Dicken' gemacht
Kassra Z. hat zu diesem bereits bekannten, traurigen Kapitel Berliner Ermittlerarbeit noch etwas Kolorit beizutragen. Sein Verteidiger Andreas Schuppan verlas eine Vernehmung seines Mandanten vom 2. Mai 2014, die auf Anzeige des betreffenden Beamten wegen Falschaussage zustande kam. Kassra Z. erklärte: "Er hat gern einen Dicken vor den Rockern gemacht." Es habe einen Tipp gegeben. Zwei, drei Tage bevor die Razzia stattfand, hielt sich Kassra Z. in Hamburg auf. Ein Hells Angel Bruders rief ihn an: "Dicker, uns gibt es nicht mehr."
Auch über den SEK-Beamten, der die Berliner Hells Angels gewarnt haben soll, weiß Kassra Z. Auskunft. Das sei ein 'sehr, sehr guter Freund' des Cousins des Angeklagten Rami El S. Den habe er auf einem Foto als Personenschützer hinter dem Politiker Gregor Gysi erkannt. Ein südländischer Typ, der - wie sich Kassra Z. zu erinnern glaubt - einmal während einer sommerlichen Razzia das Auto nicht verließ.
Ey,
Jungs, haut mal ab
Recht familiär soll es auch mit den Zivilbeamten zugegangen sein. Die seien dann schon mal herübergekommen und hätten ihnen den Wink gegeben: Ey, Jungs. Haut mal ab, da kommt gleich 'ne Streife." Einer, den sie den 'Kreuzberger' nannten, soll beispielsweise im Sommer 2013 vor einer Kontrolle im Vereinslokal 'Sahara' gewarnt haben.
Naja. Und dann gebe es noch, so Kassra Z., die 'undichte Stelle' innerhalb der juristischen Berliner Behörde. Durch die soll der Rockerchef Kadir P. über den gegen ihn vorliegenden Haftbefehl informiert gewesen sein. Der 'Präsident' stellte sich selbst, so der Zeuge, um einem SEK-Einsatz zuvorzukommen.
In Kenntnis dieser komplexen Form ermittlerischer Tätigkeit will der Zeuge Kassra Z. im März 2014 zuerst sehr gezögert haben, sich der Staatsanwaltschaft anzuvertrauen.
Keine
Lust auf Stress und Druck
Kassra Z. machte dann Angaben zu seiner Vita. Ein typisches Kind der 80er, gesund, begabt - und ein 'Leistungsverweigerer'. Die Mutter ist Lehrerin, der aus dem Iran gebürtige Vater Betriebsrat, später Lokalbetreiber.
Kassra Z. wächst mit einer vier Jahre älteren Schwester in einem Vorort von Hamburg auf. Zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr schickt ihn der Vater zur Schule in den Iran, um ihm die Kluft zwischen den Systemen begreiflich und die Vorzüge Deutschlands klar zu machen.
Kassra Z. hat jedoch "keine Lust mehr auf Stress und Druck". Er zieht es vor, mit den Freunden abzuhängen und schließt trotz Gymnasialempfehlung mit Ach und Krach die Hauptschule ab. Kassra Z. bricht eine Lehre ab, jobbt herum, stockt beim Arbeitsamt auf und setzt ein mit Starthilfe des Vaters betriebenes Kiosk-Projekt in den Sand. Als der Angeklagte mit Anfang Zwanzig in den Dunstkreis der Kieler Hells Angels gerät, stellt er seine Arbeitsbemühungen völlig ein und lebt offiziell von Arbeitslosengeld II.
Stimmung
akzeptabel
Heute lebt Kassra Z., angeklagt wegen Mordes, betreut in einem Zeugenschutzprogramm. Von seiner Frau, mit der er eine fünfjährige Tochter hat, lebt er seit der U-Haft einvernehmlich getrennt. Kassra Z. hat sich für seine Geliebte entschieden. Eine Frau, die er vor zwei, drei Jahren im Artemis Bordell in Halensee kennenlernte. Drogenprobleme kennt Kassra Z. nach eigenen Angaben nicht. Anabolika-Kuren zählt er nicht dazu.
Am 15. Januar 2015 hätte nun auch die Befragung des Zeugen durch die Verteidigung der Mitangeklagten beginnen können. Doch Kassra Z. fühlt sich offenbar schikaniert durch die Fragen des Rechtsanwalts Andreas Wattenberg. Er stoppt seine Aussage bis auf weiteres. Richter Groß, der die Stimmung eigentlich 'akzeptabel' findet, bedauert. Er kündigt schon einmal an: Sollte es bei der Entscheidung des Angeklagten bleiben, wird das Fragerecht an die Nebenklage gehen.
Weiter am 10.02.2015, 9:45, Saal 500.