Die Vorsitzende Richterin Dr. Karin Garz-Holzmann wünschte sich eigentlich einen kurzen Prozess, doch ihre Vorahnung bestätigte sich. Statt ein Geständnis abzulegen und dafür mit höchstens 6 Jahren Freiheitsentzug bestraft zu werden, entschied der Angeklagte Norbert W., sich jeden Anklagepunkt beweisen zu lassen. Der gelernte Dachdecker und Kaufmann hat seit 1998 regelmäßig mit der Justiz zu tun. Es ist bereits sein zweiter Prozess vor der 26. Großen Strafkammer.
Nachdem eine Reihe von Geldstrafen den notorischen Betrüger nicht beeindruckten, verurteilte ihn die Vorsitzende Richterin Garz-Holzmann vor zwei Jahren wegen Urkundenfälschung, Betrug, Anstiftung zum Meineid, Verstrickungsbruch, Steuerhinterziehung, Fahren ohne Fahrerlaubnis und ohne Haftpflichtversicherung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten.
Von der Haft wurde der gebürtige Brandenburger zunächst verschont. Der 52-jährige witterte sogar die Möglichkeit, sich als haftunfähig einstufen zu lassen. Doch für das rettende Attest benötigte er einen Arzt. Da Norbert W. weder Geld noch eine Krankenversicherung hatte, beschloss er, sich als Privatpatient behandeln zu lassen und die Rechnungen zu prellen, lautet der Anklagevorwurf von Staatsanwalt Arndt, der den Angeklagten ebenfalls schon aus dem letzten Prozess kennt.
Von Dezember 2004 bis Oktober 2005 suchte Norbert W. vierzehn Praxen verschiedenster Fachrichtungen auf: Orthopäden, Gastroenterologen, Augen- sowie Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Er schädigte niedergelassene Ärzte genauso wie die Charité, das Evangelische Krankenhaus Hubertus und die Medizintechnik Rostock. Insgesamt schuldet er den Medizinern fast 30 000 Euro, darin ist auch eine Zahnarztrechnung aus dem Jahre 2001 von fast 13 000 Euro berücksichtigt.
Es würden wohl heute noch Ärzte getäuscht werden, wäre der bereits Verurteilte nicht am 23. Februar 2006 endlich in Haft genommen worden. Zu den geprellten Ärzterechnungen listet die Anklage noch Fahren ohne Führerschein auf: Der einschlägig Verurteilte steuerte im Frühling 2004 einen alten BMW zu einem Ausflug vom Recklinghausener Best Western Parkhotel zur Villa Hügel in Essen und zurück. Außerdem vertuschte er den Besitz seiner Segelyacht mit dem bezeichnenden Namen "Take it easy".
Um die Yacht vor der Pfändung des Finanzamtes zu retten, behauptete er, sie gehöre seiner geschiedenen Frau und fälschte den Internationalen Bootsschein. Im Hafen Fehmarn fand man die Delta 46 und versteigerte sie für 64 000 Euro. Damit konnte ein Teil der 444 000 Euro hohen Steuerschuld des Angeklagten beglichen werden. Der letzte Punkt der Anklage betrifft eine Telefonanlage, die sich Norbert W. in den Räumen seiner bereits insolventen Firma montieren ließ, natürlich ohne die Rechnung zu bezahlen.
Norbert W., der in einem zu engen und zu kurzen, auberginefarbenen Anzug auf der Anklagebank sitzt, hört sich geduldig die Vorwürfe an. Trotz seiner grau melierten Haare wirkt er wie ein bockiges Kind, dem im Landgericht nur Unrecht geschieht. Die Staatsanwälte hätten Unterlagen beschlagnahmt und aus seiner Zelle Briefmarken entwendet, die Vorsitzende Richterin würde nicht mit ihm telefonieren wollen, weshalb er Briefe an sie schreiben müsse, klagt er. Doch die strenge Richterin bittet ihn, auch das zu unterlassen: "Es gibt nur einen einzigen Ort, an dem das Gericht mit dem Angeklagten spricht und das ist der Gerichtssaal." Dazu hat der Angeklagte bis Ende April Gelegenheit.
Urteil (am 13.09.06 noch nicht rechtskräftig):
Nun muss sich Norbert W. doch zwei saftigen Gesamtstrafen stellen. Einmal einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten u. a. wegen Fahrens ohne Führerschein unter Einbeziehung einer früheren Strafe. Und einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten wegen Steuerhinterziehung, Betrug in fünf Fällen, versuchten Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung. Die anderen Tatvorwürfe wurden eingestellt. Zusammen: eine Freiheitsstrafe von drei Jahre und neun Monate.