Im Sommer 2010 bollert nachts eine illustre
Reisegesellschaft aus der Döllner Heide kommend
über die A 11 Richtung Berlin. Der in die Jahre
gekommene, bemalte VW-Bus transportiert eine
erschöpfte Berliner Theatercrew, die von einem
Fotoshooting auf dem Weg nach Hause ist.
Im Bus sitzen mehrere nicht ganz abgeschminkte
Schauspieler, Mitarbeiter mit Kreativfrisuren, auch
Assistenten mit dunkler Hautfarbe. Die Hälfte des
Gefährts ist mit Requisiten und Kostümen
vollgestopft. Dass die Fensterscheiben des Busses
beschlagen sind, ruft in dieser Nacht eine Polizeistreife
mit ersten Verdachtsmomenten auf den Plan.
"Führerschein!", tönt es an der
heruntergelassenen Fensterscheibe neben dem Fahrersitz,
nachdem der Bus herausgewunken wurde. Carsta Z., die
hinter dem Steuer sitzt, ist entnervt. Erst fällt der
Fahrer wegen eines verknacksten Fußes aus. Jetzt
auch noch das. Sie kann nur eine Kopie ihres
Führerscheins vorzeigen. Ihre Papiere kamen bei einem
Handtaschenraub kürzlich abhanden. Grund genug
für die Fahnder, sie aufwendig auf Alkohol und Drogen
zu testen. Der Befund ist jedoch negativ. Nur ungern
lassen die Polizeibeamten die 'Verdachtspersonen' ziehen.
Kurz vor Weihnachten 2010 flattert Carsta Z. ein
Behördenschreiben ins Haus. Darin wird sie des
'vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis'
beschuldigt. In dem Verfahren, das offensichlich
völlig ermittlungsfrei verläuft, habe sie nun
Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern.
Bestürzt antwortet Carsta Z. mit einer Email und
schickt die Kopie ihres Führerscheins mit. Die
Adresse entnimmt sie dem Briefkopf des amtlichen
Schreibens, signiert ihre Sendung digital und fordert eine
Sendebestätigung an.
In ihrer Email heißt es: "Sehr geehrter Herr KHK B.,
um Himmels Willen! ... Ich habe am 8. Mai 2010 lediglich
die Papiere nicht bei mir geführt..." Zuletzt
wünscht sie KHK B. und seinen Kollegen ein
schönes Weihnachtsfest. Doch alle guten Wünsche
helfen nicht. Anfang 2011 erhält sie einen
Strafbefehlt über mehrere Hundert Euro. Als sie
widerspricht, wird ihr am 26. Mai 2011, ein Jahr nach dem
Vorfall, der Prozess gemacht.
Persönliches Erscheinen ist angeordnet. Carsta Z.,
deren Nerven wegen einer anstehenden Premiere
blank liegen und die keine Minute Zeit entbehren kann,
bittet ihren Rechtsanwalt wiederholt, in Neuruppin mit
Vernunft durchzudringen. Vergeblich.
Am 26. Mai 2011 darf Carsta Z. deshalb zum ersten Mal in
ihrem Leben als Beklagte einen Prozess durchleben. Die
Staatsanwältin verliest die Anklageschrift, Richterin
Neumeyer bittet die Angeklagte, sich zu den
Tatvorwürfen zu äußern. Carsta Z.
erklärt: "Ich bin seit 25 Jahren im Besitz eines
Führerscheins." Die Kopien des abhanden gekommenen
Papiers habe sie mehrfach, auch dem Gericht, gefaxt. Der
Antrag auf einen neuen Führerschein wird seit
fünf Wochen bearbeitet. Auch ein Beleg über
diese Tatsache liegt vor und wurde gefaxt.
Die Staatsanwältin wühlt darauf schnell und
konfus in der Akte. Dann eine kurze Pause und Stille. Tja.
Richterin Neumeyer blickt der Klagevertreterin
eindringlich in die Augen. Dann erklärt sie
lakonisch: "Ich habe die Behörden kontaktiert, die
Frau Z. den Führerschein ausstellten. Die Anklage ist
hinfällig."
Zu einer befürchteten Einstellung des Verfahrens, bei
dem die Angeklagte auf den Anwaltskosten sitzen geblieben
wäre, kommt es nicht. Diese Schmach erlässt die
Richterin der Staatsanwältin nicht. Die Klägerin
muss den Freispruch selbst beantragen. Etwas spröde,
aber immerhin, entschuldigt sich zuletzt die Richterin
Neumeyer bei Carsta Z. Der Behörde sei ein Fehler
unterlaufen, erklärt sie. Die Kosten des Verfahrens
und die Auslagen, die der Angeklagten durch das Verfahren
entstanden sind, trägt nun die Landeskasse.
Nicht alle deutschen Gerichte arbeiten, wie man sieht, so
kostenorientiert wie beispielsweise die Berliner 19.
Große Strafkammer, die im
Verfahren gegen den Börsenberater
Markus Frick immerhin 42 Millionen Euro für die
Landeskasse einfuhr.