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Gerichtsreportagen
Finanzbeamter untreu aus Geldnot
von Susanne
Rüster
Mittwoch, 01.07.2020, 9.30 Uhr, Amtsgericht
Tiergarten, Wirtschaftsabteilung
Die Eltern vertrauten ihm die Kursgebühr für
die Seepferdchen-Prüfung ihrer Kinder an. Statt das Geld
in die Kasse der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft
(DLRG) einzuzahlen, verwendete Erwin L.* es für sich.
Der Anklagevorwurf wiegt schwer: Gewerbsmäßige Untreue
in 98 Fällen. Da möchte man meinen: 'Gemeinnütziger
Verein, Sportsgeist, hallo? Wem kann man denn überhaupt
noch vertrauen?!'
Von 'Rechts wegen' wäre Erwin L. heute
kein Beamter mehr und auch die Pensionsansprüche wären
futsch. Die Anzahl und die Häufigkeit der Taten, die Höhe
des Gesamtschadens, die Ausnutzung seiner dienstlichen
Stellung, die ihm den Nimbus des 'Treuen' verlieh. - Das
alles sind Erschwernisgründe, die ihn als Beamten objektiv
disqualifizieren.
Das Schöffengericht des Berliner
Amtsgerichts meinte es gut mit Erwin L. Die
Strafverhandlung brachte Licht in die Motivwelt des
62-jährigen Angeklagten. Sie erklärt weitgehend die Milde
des Gerichts.
Erwin L. sitzt mit gesenktem Kopf und
lässt vom Verteidiger sein Geständnis verlesen. Dann
erzählt er selbst aus seinem Leben, das in die schiefe
Bahn geriet. Erlernt hat er den Beruf des Steuerfachwirts,
und auch jetzt ist er noch als Beamter im Finanzamt
Treptow-Köpenick beschäftigt.
Mehr als 30 Jahre war er ehrenamtlich
bei der DLRG tätig, zunächst als Rettungsschwimmer, dann
nach einem Motorradunfall weiterhin in der Vereinsleitung
(zuletzt in der Schwimmhalle am Hüttenweg in Zehlendorf),
und er stieg bis zum Geschäftsführer auf. Alles
ehrenamtlich, versichert er.
Sein Abstieg begann 2012, als er mit
seiner damaligen Ehefrau eine Doppelhaushälfte in
Lichtenrade kaufte. Einen hohen Kredit konnte er als
Beamter problemlos aufnehmen. Kurz danach trennte er sich
wegen einer anderen Frau, zog aus, übernahm die
gemeinsamen Verbindlichkeiten von 120.000 €.
Zur Schuldentilgung halste er sich
einen Zweitjob auf und fuhr nach Dienstschluss für die PIN
AG Sendungen mit seinem privaten Pkw aus. "Drei Autos habe
ich in der Zeit verbraucht“, erzählt er, "aber das Geld
reichte einfach nicht.“ Im Jahr 2017 verstarb seine zweite
Ehefrau plötzlich an einem Aneurysma mit inneren
Blutungen.
Obwohl die Doppelhaushälfte verkauft
und die Hausschulden beglichen waren, gab es weitere
Verbindlichkeiten. So griff Erwin L. im Januar 2014 zum
ersten Mal in die Kasse der DLRG. Es fiel nicht auf, man
vertraute ihm als Geschäftsführer, und so tat er es immer
wieder bis zum November 2017.
Über 62.000 € hat er veruntreut. Im
Rahmen einer Kassenprüfung räumte er sein Fehlverhalten
ein, wiederholte sein Geständnis bei der Polizei und
schließlich in der Strafverhandlung.
"Schwierige Situation für Sie“, sagt
die Vorsitzende Richterin. Und macht deutlich, wie viel
für Erwin L. auf dem Spiel steht. Die Entlassung aus dem
Beamtenverhältnis droht ihm und der Verlust seiner
Pension, wenn er eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder
mehr erhält.
Für den Angeklagten kommt es zum
bestmöglichen Ende: Der Staatsanwalt hat ein Einsehen und
beantragt für die 98 Fälle nur eine Freiheitsstrafe von 11
Monaten auf Bewährung und die Einziehung des noch offenen
Geldbetrags (rund 49.000 €). Der Verteidiger schließt sich
dem Antrag des Staatsanwalts an. Auch das Gericht folgt
diesen Anträgen.
"Zu Gunsten des Angeklagten ist zu berücksichtigen“, so
die Richterin in der Urteilsbegründung, "dass er bislang
nicht bestraft ist, seine Taten sogleich eingestanden hat
und sie bereut, dass er bereits 13.500 € zurückgezahlt
hat, und neben dieser Strafe außerdem eine Herabstufung
seiner Beamtenbezüge droht.“
Eine Frage bleibt dennoch offen: Wie
konnte es geschehen, dass Erwin L. über vier Jahre
unbemerkt in die Kasse der DLRG greifen und 62.000 € für
sich entnehmen konnte?!
* Name von der
Redaktion geändert
-> Susanne Rüster <-
Die Verfasserin war langjährig als Staatsanwältin im
Kriminalgericht Moabit tätig und ist Autorin u.a. von
Polizeiermittler-Krimis.
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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